Der neue Comic von James Sturm (Markttag) nimmt indirekt, aber dennoch sehr konkret Bezug auf die US-Tagespolitik von 2016. Ausnahmezustand erzählt davon, wie die umstrittene – und möglicherweise auch zurechtgemauschelte – Entscheidung der Demokraten nicht Bernie Sanders sondern Hillary Clinton gegen Donald Trump antreten zu lassen, der ohnehin schon sehr fragilen Beziehung zwischen Mark und Lisa den Rest gibt.
Der als Handwerker auf dem Bau tätige und mit Sanders sympathisierende Mark wendet sich weitestgehend von der Politik ab und sympathisiert vielleicht sogar leicht mit Trump. Seine aus “besserem Hause“ stammende Noch-Ehefrau Lisa hingegen engagiert sich sehr zeitaufwendig für Hillary. Da der unverschuldet in große finanzielle Schwierigkeiten geratene Mark es gerade so eben schafft über die Runden zu kommen und zudem versucht, sich um die Kinder zu kümmern, nimmt er – genau wie der Leser des Comic – die politischen Entwicklung nur am Rande war.
Durch die Beschreibung der Entfremdung von Mark und Lisa thematisiert Sturm auch die Spaltung der US-Gesellschaft, wobei die Art der Darstellung etwas gewöhnungsbedürftig ist. Sturm erzählt seinen aus 14 Kapiteln bestehenden Comic auf querformatigen immer aus zwei Panels bestehenden Seiten. Mark und Lisa, aber auch alle anderen Figuren (inklusive des nur auf einem Panel auftauchenden Trumps), haben Hundeköpfe.
Es wirkt zwar etwas seltsam, wenn Mark und Lisa in einer Rückblende, die davon erzählt, wie sie sich näher kamen, Schweinemasken aufsetzen. Doch auch dank der manchmal schon fast fotorealistischen Hintergründe und der an Schwarzweißfotos erinnernden Einfärbung wirkt Sturms US-Mikrokosmos glaubhaft. Ausnahmezustand taugt aber auch als Gleichnis. Es sei noch gespoilert, dass Sturm seine Leser nicht ohne ein Fünkchen Hoffnung aus seiner Trump-Fabel entlässt.
Mittlerweile sind die seit 2002 alljährlich beim Schüren Verlag erscheinenden „Filmjahr Bücher“ sehr viel mehr als lediglich Ergänzungsbände, die alljährlich neben das mehrbändige „Lexikon des internationalen Films“ ins Regal werden sollten. Vielmehr sollten die Bücher gelesen werden, solange sie noch “frisch“ sind, denn ob im Zeitalter von Wikipedia sich Jahre später noch die Mühe gemacht wird, über bestimmte Filme in den jeweiligen Büchern nachzulesen erscheint eher fraglich.
Hans Peter Koll und Jörg Gerle gelingt es immer wieder den Rückblick auf das jeweilige Kinojahr sehr lebendig zu vermitteln. Eine “Art von Jahreschronik“ präsentiert Highlights, Verstorbene, neue Trends und Krisenherde des Kinos. Besonders hervorgehoben und ausführlicher besprochen werden einige der „besten Kinofilme des Jahres 2016“wie “Toni Erdmann“ oder “Arrival“. Als Schwerpunktthema wird sich diesmal mit dem Thema “TV-Serien“ beschäftigt, wobei zudem auch noch 40 ausgewählte Serien vorgestellt werden.
Auch diesmal fanden wieder sehr viele TV-Produktionen und -Serien Aufnahme in die lexikalische Auflistung. Bei der immer mal wieder in Richtung großes Kino schielenden (und sehr gelegentlich sogar dort laufenden) “Tatort“-Reihe mag dies noch angehen. Doch nur wenige Filmfreunde dürften sich für Inhaltsangaben und Auflistungen der Crewmitglieder zu TV-Filmen nach Büchern von Rosamunde Pilcher interessieren, zumal die Kurzbewertungen zu diesen “Filmen“ meist vernichtend sind. Immer noch nicht gelöst wurde das Problem mit dem “The“, denn sowohl “The Revenant“ als auch “The Night Manager“ sind unter “T“ und nicht unter “R“ oder “N“ zu finden.
Doch ansonsten ist alles bestens. Gut ist auch, dass weiterhin das Medium DVD bzw. Blu-ray sehr stark berücksichtigt wird. Bei vielen Filmen findet innerhalb der einzelnen Besprechungen auch das Bonusmaterial der Heimkino-Veröffentlichung Berücksichtigung. Doch noch längst nicht alle der besprochenen Filme liegen zum Erscheinungszeitpunkt des Lexikons auf DVD oder Blu-ray vor. Eine sinnvolle Ergänzung ist daher ein Anhang, der ausführlich auf „herausragende DVD und Blu-ray Editionen“ eingeht.
Aufbau und Zusammenstellung überzeugen einmal mehr und das “Lexikon des internationalen Films“ ist somit auch diesmal wieder das beste – aber mittlerweile leider auch einzige – deutschsprachige Filmjahrbuch.
St. Petersburg im Jahr 1805: Im Schatten des aufziehenden und äußerst dramatisch verlaufenden Krieg zwischen Frankreich und Russland versuchen die junge Natascha, der plötzlich zu Reichtum gekommene Adelssprössling Pierre Besuchow und der ambitionierte Prinz Andrei Bolkonsky ihr privates Glück zu finden.
Nach King Vidors äußerst gemischt aufgenommener Hollywood-Version mit Audrey Hepburn von 1956, der 1967 entstandenen monumentalen russischen Verfilmung von Sergei Bondartschuk (“Waterloo“) und einer 2007 unter deutscher Beteiligung entstandenen vierteiligen TV-Serie, hat sich die BBC an Leo Tolstois 1.500-seitigen Klassiker versucht.
Herausgekommen ist eine 340-minütige Miniserie, die in Großbritannien Anfang 2016 als Sechsteiler gezeigt wurde, bei uns jedoch in acht Episoden zerlegt wurde. In kleineren Rollen sind prominente Darsteller wie Stephan Rea, Brian Cox und Gillian Anderson zu sehen. Als Natascha bringt “Cinderella“ Lily James ihren geballten Charme ins Spiel, während Paul Dano (“Little Miss Sunshine“) als an sich selbst zweifelnder Pierre überzeugt.
Da mit beträchtlichen Aufwand großteils “vor Ort“ in Russland und gedreht wurde, sieht die Serie nicht wie eine weitere Jane-Austen-Verfilmung der BBC aus. Andrew Davies (“House of Cards“) hat den Roman mitreißend adaptiert und diese Version von “Krieg und Frieden“ kann uneingeschränkt empfohlen werden.
Die Blu-ray-Edition von Polyband enthält die acht Episoden auf zwei Scheiben. Hinzu kommen noch fünf Postkarten mit Fotos aus der Serie, sowie die (wahlweise deutsch untertitelten) Kurzberichte “From Page to Screen“ (4:43 min) , “Bundale Palace“ (2:14 min), “The Read Through“ (2:24 min), “Making the Music“ (2:22 min), “What is War & Peace“ (1:04 min) und “Count Rostov’s Dance“ (1:10 min).
Es ist schön, dass er immer noch zuverlässig (aber auch mit geballter kreativer Power) seinen Job verrichtet und einmal mehr seinem Heimatland den Spiegel vorhält. Drei Jahren nachdem Edward Snowden in Russland Asyl erhalten hat, steht er im Zentrum eines (großteils in München in Szene gesetzten) Spielfilms von Oliver Stone.
Dieser setzt diesmal weniger auf die Kraft von bildgewaltigen (gelegendlich auch etwas plumpen) Montagen, die den Zuschauer manipulieren sollen, sondern bringt den Menschen Edward Snowden ins Spiel. Dieser wird Joseph Gordon-Levitt (“The Dark Knight Rises“) als zwar etwas verklemmten, doch durchaus sympathischen, konservativ ausgerichteten Menschen gespielt. Nicht einmal Shailene Woodley, als seine eher progressiv ausgerichtete Freundin Lindsey, schafft es ihn dauerhaft davon abzuhalten seine beträchtlichen Talente in die Dienste von CIA und NSA zu stellen.
Bei der Darstellung von Snowdens geheimdienstlichen Tätigkeiten zeigt sich einmal mehr Oliver Stones Talent in Sachen Casting und Schauspielerführung. Während der Brite Rhys Ifans (“Notting Hill“) als diabolisch-durchtriebener Vorgesetzter überzeugt, zeigt Nicolas Cage in einer kleinen, aber feinen Rolle als ausgebrannter CIA-Veteran, dass er mehr kann als seinen ehemals guten Namen für schlechte Filme zur Verfügung zu stellen.
Joseph Gordon-Levitt gelingt es gut die Wandlung eines zunächst fast ausschließlich an den technischen Aspekten seines zweifelhaften Jobs interessierten Mensch zum Skeptiker zu verkörpern. Sein Entschluss zum Whistleblower zu werden, wirkt glaubhaft, angesichts der Tatsache, dass sein Arbeitgeber mehr Menschen in den USA als sonstwo auf der Welt überwacht.
Wenn am Ende des Films der echte Edward Snowden, mit dem sich Oliver Stone einige Male in Moskau getroffen hat, auf der Leinwand auftaucht und sich an die Zuschauer wendet, dann legt dies nahe, dass er mit Stones Film halbwegs zufrieden ist. Seine Landsleute hingegen ignorierten den Film genauso wie die Warnungen und das Schicksal von Edward Snowden.
Gemeinsam mit dem Comiczeichner Alfred Neuwald (“Karl der Kleine“, “Die Weltenbummler“) – von dem diese Fotos stammen – war ich von Burgos bis Astorga unterwegs.
Zum Glück hatten wir durchgehend sehr sonniges Wetter.
Ein interessanter Zwischenstopp war San Antón. Hier hätten wir inmitten einer Kirchenruine in einer Herberge übernachten können.
Der zwölfte Band der seit 2005 alljährlich erscheinenden Reihe “Deutsche Comicforschung“ informiert wieder zuverlässig über Gebiete, die in Comicfachpresse und in Fachbüchern bisher gar nicht oder nur sehr unzureichend behandelt wurden.
Die einmal mehr sehr interessant konzipierten und bebilderten Beiträge des Buchs sind wieder chronologisch angeordnet. Zunächst geht es zurück ins Mittelalter, wo – und das hat Tradition in der Buchreihe – die Comicforscher um Eckart Sackmann wieder eine Bilderzählung entdeckt haben, die mit etwas guten Willen als Comic bezeichnet werden kann. So sind in der Kölner Basilika St. Ursula 24 Bildertafeln aus dem Jahre 1456 zu sehen, die auch gereimte Texte enthalten.
Nicht völlig neu, ist die Information, dass Friedrich Schiller humoristische Bildergeschichten zu Papier brachte, doch Dietrich Grünewald hat sich im zweiten Beitrag des Jahrbuchs sehr ausführlich mit den “Avanturen des neues Telemachs“ des deutschen Nationaldichters beschäftigt. Sackmann hingegen widmet sich in einem weiteren Beitrag der insgesamt knapp 8 Meter langen Bilderzählung “Die sieben Raben“ von Moritz von Schwindt, die Mitte des 19. Jahrhunderts entstand.
Die restlichen Beiträge stammen aus einer Zeit als es den Begriff Comic bereits gab. Ein Artikel beschreibt die vor dem Ersten Weltkrieg in Stuttgart erschienene Zeitschrift “Die Kinderwoche“, in der unter dem Titel “Plim und Plum“ eine Art Jugendstil-Variante zu Wilhelm Buschs “Plisch und Plum“ veröffentlicht wurde. Ebenfalls auf Wilhelm Busch beruft sich der in einem weiteren Bericht beschriebene englische Zeitungsstrip “Big und Little Willie“, der sich ab 1914 im “Daily Mirror“ über den Deutschen Kaiser und den Kronprinzen lustig machte.
Bemerkenswert sind auch die Erkenntnisse im Kapitel “Frühe Micky Maus Zeitungsstrips in Deutschland“. Hier ist zu erfahren, dass in Deutschland bereits 1930 erste Comics mit Walt Disneys Zeichentrick-Figuren erschienen sind und das auch noch in der kommunistischen “Arbeiter Illustrierte Zeitung.“ Interessant ist auch, dass die “Kölnische Illustrierte Zeitung“ ein Jahr später sogar einen Micky-Maus-Strip aus der Feder des deutschen Zeichners Frank Behmak veröffentlichte. Doch auch im Dritten Reich waren Comics nicht, wie gerne behauptet wird, völlig verpönt, sondern Sackmann belegt im reich bebilderten Bericht “Die Braune Post – Die Nazis und die Sprechblase“, dass in einer nationalsozialistischen Sonntagszeitung etliche eigens dafür konzipierte deutsche Comics zum Abdruck kamen.
Dass der deutschen Comic-Kultur höchstwahrscheinlich ein großes Talent verloren gegangen ist, davon erzählt ein Artikel über neun großformatige farbig kolorierte Original-Seiten, die der Comicsammler Joachim Knüppel in einem Hamburger Antiquariat kaufte. Diese Seiten entstanden in den 50er Jahren und erzählen eine in Afrika spielende Abenteuergeschichte. Wilhelm Eigner hat diese in einem nahezu perfekten Stil gezeichnet, der sehr viel ansprechender ist, als fast alles was deutsche Verlage seinerzeit an Eigenproduktionen herausbrachten. Doch Eigner stellte das Comic-Zeichnen ein, denn er fand schnell Arbeit als Illustrator, was sicher gut für ihn, aber sehr schade für die deutsche Comic-Landschaft war. Helmut Kronthaler widmet sich im nächsten Buch-Beitrag einem ab 1959 erschienenen Fortsetzungs-Comic über das Leben des Südtiroler Freiheitskämpfers Andreas Hofer.
Interessant ist auch Guido Weißhahns Artikel über die Comic-Aktivitäten des ostdeutschen Museumspädagogen Paul Thiel, der versuchte sich in der DDR vorurteilsfrei mit westlichen Comics zu beschäftigen. Thies beschäftigte sich seinerzeit aber auch mit DDR-Comics und ein Artikel von ihm über Mosaik erschien sogar 1979 im einflussreichen US-amerikanischen Fachblatt The Comics Journal.
Den Abschluss des Buchs bildet der Artikel “Deutsche Underground-Comics – Versuch einer Annäherung“. Wie der Titel schon andeutet, ist dies nur (aber auch immerhin!) der erste Schritt der Annäherung an eine quirlige Zeichner-Szene, die teilweise sehr erfolgreich versuchte, deutschsprachige Varianten zu den subversiven Comics von Robert Crumb oder Gilbert Sheldon zu schaffen. Zahlreiche Zeichner aus diesem Umfeld wie Volker Reiche, Tom Bunk, Gerhard Seyfried, Brösel oder Gabriel Nemeth sind heute noch tätig. Eckart Sackmanns Bericht deutet an, dass hier Stoff für ein ganzes und nicht unbedingt dünnes Buch wäre.
Die 2016er Ausgabe des Jahrbuchs Deutsche Comicforschung hingegen deutet an, dass es auch in Zukunft noch genügend hochinteressanten Stoff für weitere Ausgaben gibt.