Dass Brüssel die europäische Comic-Metropole ist, zeigt nicht nur eine riesige Skulptur von André Franquins Gaston, die unweit des in einem ehemaligen Kaufhaus gelegenen Comic-Museums Centre Belge de la Bande Dessinée. Auch das Musée Hergé ist nicht weit entfernt.
In der ganzen Stadt sind Fassaden zu finden, die bemalt wurden mit Comic-Figuren, hier ein alles andere als vollständiger Überblick.
In seiner mittlerweile 27. Künstler Biographie in Comicform hat sich Willi Blöss mit Wilhelm Busch beschäftigt. Dabei zeigt er einmal mehr, wie viel Fakten und Details auf nur 24 Seiten vermittelt werden können.
Gleich am Anfang des Comics stellt Willi Blöss klar, dass Wilhelm Busch keineswegs – wie gerne behauptet wird – der Vater des (deutschen) Comics ist. Vor ihm gab es den Engländer William Hogart, den Schweizer Rodolphe Töpffer und auch Heinrich Hoffmanns anti-antiautoritärer “Struwwelpeter“ war bereits erschienen, bevor Wilhelm Busch 1859 innerhalb der “Fliegenden Blätter“ erstmals als komischer Zeichner in Erscheinung trat.
Nach Ansicht von Blöss hat Busch dennoch einen bedeutenden Beitrag innerhalb der Geschichte des Comics geleistet, denn seine “grafischen Effekte und die eskalierenden Abläufe“ werden “später sogar Walt Disney und dessen Trickfilme beeinflussen“.
Doch Willi Blöss beschäftigt sich in seinem Comic nicht nur mit dem Werk von Busch, sondern auch mit dem Menschen. Hierbei versucht er – so nah orientiert an den überlieferten Fakten wie möglich- nachzuweisen, dass dieser als ewiger und zumeist keuscher Junggeselle durch sein ein dreiviertel Jahrhundert andauerndes Leben gegangen ist. Sicher hat er daher in seinen Bildgeschichten Frauen immer wieder “übel malträtiert, aber nicht übler als die übrigen Protagonisten.“
Nicht nur vom Inhalt her, sondern auch optisch gibt die Comic-Biografie allerlei her. Die Zeichnungen sind wieder klar, schlicht und karikierend (was in diesem Falle besonders gut zum Thema passt). Doch hinzu kommt noch eine auf den ersten Blick willkürlich und grell wirkende Kolorierung, die jedoch die interessant layouteten Seiten gut gliedert und die Lektüre zu einem großen Vergnügen macht. Den Comic gibt es als kleines postkarten-großes Heftchen für 3 Euro. Wer jedoch 2 Euro mehr investiert, kann sich davon überzeugen, dass die Zeichnungen von Willi Blöss noch gewinnen, wenn sie mehr als doppelt so groß reproduziert werden!
Die jüdische Schauspielerin Channa Maron war in Deutschland nur in zwei kurzen Zeiträumen bekannt. 1931 wurde sie von Erich Kästner höchstpersönlich dazu auserkoren, am Deutschen Theater in Berlin das erste “Pünktchen“ in einer Inszenierung seines Kinderbuchs Pünktchen und Anton zu spielen. Noch im selben Jahr war die Jungdarstellerin in der Anfangsszene von Fritz Langs Film-Klassiker M – Eine Stadt sucht einen Mörder als jenes Mädchen zu sehen, das den Abzählreim Warte, warte nur ein Weilchen… aufsagte.
Channa Maron verließ Deutschland zusammen mit ihrer Mutter, nachdem die Nazis an die Macht kamen. In Israel wurde sie zur bekanntesten Bühnenkünstlerin des Landes und 1970 nach London zu einem Casting für das Musical Anatevka eingeladen. Auf dem Weg dorthin hatte sie eine Zwischenlandung in München und fiel dort einem von palästinensischen Terroristen verübten Sprengstoffattentat zum Opfer. Sie verlor ihr linkes Bein, kehrte aber an die Bühne zurück. Bis zu ihrem Tode im Jahre 2014 engagierte sie sich für ein friedliches Miteinander von Israelis und Palästinensern.
Das bewegte Leben von Channa Maron steht im Zentrum eines biographischen Comics, der bei Reprodukt erschienen und zugleich auch der Katalog einer vom Goethe Institut Israel initiierten Ausstellung ist. Hieran sind gleich zwei Künstler beteiligt. Der israelische Illustrator David Polonsky, der am Animationsfilm Waltz with Bashir mitarbeitete, hat zehn Bilder von Channa Maron angefertigt, die diese in ihren größten Rollen zeigen. Kurze Texte erklären sowohl die zugehörigen Inszenierungen, als auch die zeitgleich stattfindenden privaten und politischen Ereignisse.
Noch interessanter ist der Ansatz der deutschen Comic-Zeichnerin Barbara Yelin (Gift, Irmina), die in Form von jeweils zweiseitigen Comicgeschichten zehn wichtige Abschnitte aus Channa Marons Leben in Szene setzte. Grundlage dieser Erzählungen sind Gespräche, die Barbara Yelin mit Verwandten und Bekannten der Schauspielerin führte.
Das schön aufgemachte querformatige Buch bietet einen ebenso spannenden wie menschlich anrührenden Einblick in ein sehr bewegtes Künstlerleben, das Channa Maron konsequent unter dem Motto “Manchmal ist es wichtiger ein Mensch zu sein, als ein Schauspieler“ führte.
1983 ermordet ein Scharfschütze in San Francisco in 9 Sekunden 9 Menschen. Inspektor Spadaccini fühlt sich bei der Präzision, mit der hier gearbeitete wurde, an die Ermordung John F. Kennedys erinnert. Tatsächlich gibt es Verbindungen hierzu, doch die Spur führt auch in die Vergangenheit des Polizisten, der gleich zwei Spitznamen hat: “Crazy Cop“ und “Wonderball“, weil er eine Leidenschaft für mit Figuren gefüllte Überraschungs-Eier hat.
Spadaccini könnte aber auch “Dirty Harry“ heißen, denn so wie Colin Wilson (Blueberry, Tex) ihn zeichnet erinnert er an den jungen Clint Eastwood, der 1971 als Inspector Harry Calahan ebenfalls in San Francisco einen wild um sich ballernden Sniper jagte. Auch weitere Klassikern des San-Francisco-Films wie Alfred Hitchcocks Vertigo oder Peter Yates‘ Bullitt werden mehr oder weniger deutlich zitiert.
In erster Linie ist es das klare realistische Artwork des in Neuseeland geborenen Wilson, das für diesen Comic spricht. Die Story kommt aus der Feder der Franzosen Jean-Pierre Pécau und Fred Duval, mit denen Wilson bereits bei Tag X zusammenarbeitete. Auch bei Wonderball versuchen die Autoren reale Ereignisse, wie die Ermordung von JFK, aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.
Das Szenario ist durchaus spannend, allerlei interessante Charaktere tauchen auf, werden ermordet und auf Seite 56 heißt es dann “wird fortgesetzt“. Mittlerweile liegt Wonderball in Frankreich bei Delcourt komplett vor. Auch bei uns hat Schreiber & Leser alle 5 Alben der Serie als Hardcover-Editionen herausgebracht.
Das ist schon so eine Sache, wenn da zwei Männer einen Comic über zwei attraktive (und aus mehr oder weniger nachvollziehbaren Gründen sehr oft unbekleidete) junge Mädchen machen und dann auch noch ein dritter Mann eine Rezension über diese “erotische Fantasie“ (Verlagswerbung) schreibt. Doch Esmera ist schon deshalb bemerkenswert, weil hier der durch seine Erfolgsserie Titeuf bekannte Schweizer Philippe Chappuis alias Zep (Happy Parents) mal so richtig die Erotik-Keule schwingen kann.
Der sonst in einem lässigen Funny-Sil zeichnende Zep versucht sich in seinen neuen Alben Un Bruit Étrange et Beau und The End aktuell an etwas realistischeren Figuren. Esmera wurde jedoch von Vincent Roucher alias Vince zu Papier gebracht. Diesem gelingen viele hocherotische Panels, die er durch die Kolorierung in Sepia-Tönen wie alte Fotos aussehen lässt.
Zeps Geschichte um zwei junge Mädchen, die im Rom des Jahres 1965 ein katholisches Gymnasium besuchen und fast nur an Jungen denken, scheint zunächst wenig mehr als ein schwacher Vorwand für die eher eindeutigen als zweideutigen erotischen Bilder von Vince zu sein. Während die Hauptfigur, die dunkelhaarige Esmera noch recht schüchtern ist, lässt es ihre blonde Freundin Rachele zwischenmenschlich ganz schön krachen. Als Esmera versucht mitzuhalten, geht dies ganz schön nach hinten los.
Doch genau genommen geht es (Achtung Spoiler!) eher nach vorne los, denn Esmera verfügt plötzlich über einen Penis und sieht auch ansonsten ganz schön männlich aus. Sie verwandelt sich aber auch immer wieder in eine Frau zurück, bevor sie dann wieder ein Mann wird. Da sie jetzt quasi zwei Leben führt, altert sie deutlich langsamer. Diese dann doch recht überraschende Wendung sorgt für allerlei halbwegs amüsante Situationen. Am Ende der Geschichte bzw. des Reigens ist Zep und Vince dann leider ihre erotische Fantasie ausgegangen.
Auf der Welle des Kinofilms “Batman V Superman: Dawn of Justice“ schwimmend, veröffentlich Panini die Hefte der im Jahr 2003 neu gestarteten Serie Superman/Batman wieder neu. Im Oktober 2003 bekamen die beiden Zugpferde des Hauses DC wieder ein gemeinsames Heft, nachdem 1986 mit der Nummer #323 die Serie WORLD’S FINEST COMICS nach fünfundvierzig Jahren – von denen sie sich immerhin die letzten zweiunddreißig Jahre diesen Titel allmonatlich geteilt hatten – eingestellt worden war. Die gemeinsamen Geschichten von Batman und Superman werfen also große Schatten und eine lange Tradition voraus.
Und dies ist die Geschichte von der Rückkehr einer alten Heldin, von der es im DC-Universum schon sehr viele Varianten und Inkarnationen gab. Verdeutlicht es doch sehr, dass es sie geben muss, aber es immer schwer war, an der Seite von Superman zu existieren und gute Geschichten über sie und mit ihr zu schreiben. Und so ist es kein Wunder, dass mit dieser Aufgabe – attraktive und zeitgemäße weiblichen Comiccharaktere zu schaffen – jemand betraut wurde, der bekannt dafür ist, eben dies wie kein anderer zu können: Michael Turner.
Innerhalb der Serie Batman/Superman durfte er zusammen mit dem Autor Jeph Loeb (“Superman for all Seasons“, “Smallvile“) in einer sechsteiligen Geschichte die Wiederkehr von Supermans Cousine Supergirl präsentieren. Und das gelingt den beiden Kreativen sehr gut. Die Historie von Supergirl ist nicht ganz einfach, denn schon zu viele Heldinnen gab es, die diesen Namen trugen: Das Pre-Crisis-Supergirl Kara Zor-El, Matrix, der Erdenengel Linda Danvers, Cirl-El, und und und…
In der vorliegenden Geschichte wird Supergirl als die Cousine von Superman eingeführt, die ebenso wie er die Explosion von Krypton überlebt hat. Dies funktioniert, da das alte Supergirl, welches bei der Crisis gestorben war, nach der Neuschreibung des DC-Universums ja nie existiert hatte! Jetzt also ist ein neues Supergirl wieder da und die Art und Weise, wie die beiden Kreativen ihr neues Leben einhauchen ist wirklich von der ersten Seite an, überaus beeindruckend und fesselnd gelungen. Loebs Story beginnt mit der Suche nach dem Kryptonit, das auf die Erde niedergeprasselt war. Superman muss in seiner Festung der Einsamkeit unter Quarantäne die Zeit verbringen, während die Helden der Erde überall Kryptonit einsammeln. So auch Batman im Hafen von Gotham City. Und was er da tief unten auf dem Meeresboden findet, das lässt den Meisterdetektiven überraschen: Ein Raumschiff kryptonischen Ursprungs.
Und schnell wird auch klar, wer an Bord war: Eine junge Frau, die noch gar nicht weiß, wie ihr geschah und wo sie ist. Das Letzte, an das sie sich noch erinnern kann, war, dass sie als junges Mädchen ihrem Cousin Kal-El, der als Baby in eine Rakete gesetzt worden war, folgen sollte. Die Jahre sind vergangen und aus dem Baby wurde der mächtigste Held der Erde und sie ist immer noch der Teenager von einst.
Was Loeb da abliefert ist spannend, humorvoll und auch voller Dramatik und unerwarteter Wendungen. Die Bilder von Turner sind einzigartig und schön. Seine bekannten Schwächen (seine Gesichter sehen meist ähnlich aus) sind nicht überwunden, aber scheinbar schwächer geworden. Loeb lässt es sich auch nicht nehmen, eine Vielzahl von weiblichen Figuren in die Geschichte hinein zu schreiben (die Amazonen um Wonder Woman, die Furien von Apokolips u.v.a.m.). Rasant sind die Wendungen, aber immer durchdacht und es macht sehr viel Spaß ihnen zu folgen (besonders in einem Rutsch ohne auf eine Fortsetzung warten zu brauchen).
Supergirls Erscheinen auf der Erde bleibt nicht lange unerkannt und so machen sich viele daran, sie für sich zu gewinnen: Allen voran Darkseid, der eine Nachfolgerin für Big Barda sucht. Er entführt sie kurzerhand und scheint in ihr eine dunkle Seite zu aktivieren. Geschickt versteht es Loeb den Leser in ein Wechselbad zu tauchen und bis zum Schluss im Ungewissen darüber zu lassen, wer genau dieses Supergirl ist und was es möchte. Haben etwa Batman (und Krypto) Recht, die ihr nicht trauen? Oder der gutgläubige Superman, der von der ersten Sekunde an keinen Zweifel daran lässt, dass dies seine leibhaftige Cousine von Krypton ist, die zur Erde kam, um ihm beizustehen?
Die Reise nach Apokolips von Superman, Batman, Wonder Woman und Big Barda entwickelt sich zu einem Feuerwerk und wieder einmal liegt es Batman anheim, alle zu retten und dafür zu sorgen, dass alle wieder – zusammen mit Supergirl – zur guten alten Erde zurückkehren. Aber der so Besiegte lässt es mit seiner Niederlage nicht beruhen und sinnt sofort auf Rache. Das vermeintlich gut versteckte Supergirl auf der Farm der Kents ist für ihn nicht schwer auszumachen und so taucht er auf und legt mit seinen Omega-Strahen alles in Schutt und Asche: Auch das neue Supergirl. Superman ist außer sich vor Wut. Aber wieder greift Loeb in die Trickkiste und zaubert Unvorhersehbares hervor.
Das Ganze ist unterhaltsame Comicliteratur und wird von Turner gekonnt und beeindruckend in Szene gesetzt. Seine männlichen Helden (allen voran Batman) sind gut gebaut und seine weiblichen Figuren sind ebenfalls nett anzuschauen. Seine Hintergründe und Kulissen sind stimmungsvoll, fantasievoll und wissen zu überzeugen.
Batman/Superman: Supergirl; enthält Superman/Batman #8 bis #13; Text: Jeph Loeb; Zeichnungen: Michael Turner; Farben: Peter Steigerwald; aus dem Amerikanischen von Christian Heiss; Softcover € 16,99 / Hardcover € 25,00; 150 Seiten; farbig; Panini/DC Comics
Zeitgleich mit dem Start seiner Erfolgsserie-Serie Preacher beim DC-Label Vertigo durfte der Ire Garth Ennis (Hellblazer, Rover Red Charlie) 1995 seine Hassliebe zum Superhelden-Genre beim Konkurrenten Marvel voll ausleben. Seine Geschichte variiert die Origin des Punishers Frank Castle geringfügig und bei Ennis sind es keine Gangster, sondern die gegen Aliens ankämpfenden X-Men und Avengers, die die Schuld am Tod seiner Familie tragen.
Offizielle Stellen versuchen dies als Kollateralschaden herunter zu spielen und steckten Castle, der im Affekt die X-Men Cyclobs und Jubilee umbrachte, in den Knast. Doch stattdessen landet Castle bei einer gut betuchten Gruppe, deren von gut betuchte Mitglieder ebenfalls geliebte Menschen beim Einsatz von Superhelden verloren haben. Sie statten den Punisher mit der nötigen Feuerkraft aus, um sich zu rächen. Systematisch bringt Castle die Superhelden um, doch kurz vor Abschluss seiner Mission beginnt er am Sinn seines blutigen Treibens zu zweifeln…
Auf nur 44 Seiten dezimierte Ennis das Marvel-Universum und er sollte ab 2000 einige der besten Storys mit dem Punisher schreiben. Die Geschichte setzte der Brite Doug Braithwaite in recht rohen aber wirkungsvollen Bildern in Szene. Panini veröffentlichte den Klassiker Punisher kills the Marvel Universe gemeinsam mit einer ähnlich gelagerten Story, die zwar nicht von Garth Ennis, sondern 2010 von Jonathan Maberry verfasst wurde.
Hier ist es eine Seuche, die fast alle Menschen und natürlich auch die Superhelden wahnsinnig werden lässt. Lediglich der Punisher ist “normal“ geblieben und verrichtet weiterhin sein blutiges Handwerk. Mehr noch als die Geschichte überzeugen bei Marvel Universe vs. The Punisher die klaren sehr aufgeräumten Bilder des in Zagreb lebenden kroatischen Zeichners Goran Parlov. Dieser arbeitete danach bei Fury mit Garth Ennis zusammen und setzte Mark Millars Starlight in Szene.
Für Freunde des Punishers ist dieses gemischte Double uneingeschränkt zu empfehlen. Punisher kills the Marvel Universe gibt es auch als auf 444 Exemplare limitierte Hardcover-Edition mit Variant-Cover von Steve Dillon.
Die Western-Parodie Lucky Luke des als Morris bekannten Belgiers Maurice de Bevere (1923-2001) wirkt auch nach 70 Jahren dank ihrer gekonnt karikierten Typen sehr frisch. Neben der aktuell von Hervé Darmenton alias Achdé im klassischen Look werkgetreu weitergeführten Serie versucht sich jetzt auch Matthieu Bonhomme an Lucky Luke.
Sein eher realistischer Zeichenstil scheint auf den ersten Blick nicht zur stark karikierenden Darstellung des Wilden Westen zu passen, die ihren Höhepunkt feierte, als der große René Goscinny neben Asterixauch noch Lucky Luke textete. Bonhomme zeigte zuvor schon in der von Lewis Trondheim geschriebenen Serien Texas Cowboys und Omni-Visibilis dass realistische Zeichnungen und skurriler Humor kein Widerspruch sein müssen. Außerdem wurde bereits innerhalb der ebenfalls in Belgien entstandenen Traditions-Serie Spirou bewiesen, dass es eine gute Idee ist, neben der regulären Reihe auch einmal Experimente mit weiteren Zeichnern und Autoren zu wagen.
Auch wenn Der Mann, der Lucky Luke erschoss nicht wie einst bei Morris & Gosinny alle paar Panels einen Schenkelklopfer serviert, kann das Experiment, vor allem dank des interessanten Zeichenstils von Bonhomme, als gelungen betrachtet werden. Dessen Geschichte um das von drei undurchsichtigen Brüdern kontrollierte Städtchen Froggy Town hat leider nicht so viel schrägen Humor wie die Texas Cowboys und ist eher spannend als lustig. Doch ganz nebenbei wird eine recht plausible Erklärung geliefert, warum Lucky Luke ab 1982 in den Comics aufgehört hat zu rauchen und fortan zum Strohhalm statt zur Zigarette griff.
Zeitgleich entstand mit Jolly Jumper antwortet nicht, eine weitere Neuinterpretation von Lucky Luke, die Guillaume Bouzard sehr reduziert zu Papier gebracht hat.
Mit Wantedgelang Matthieu Bonhomme eine zweite sehr viel bessere Lucky-Luke-Hommage, die sich nicht hinter dem Original verstecken muss.
Der Schotte Mark Millar ist ein Comic-Autor gibt, der immer wieder für ein Überaschung gut ist. Er spekulierte in “Genosse Superman“ darüber, was geschehen wäre, wenn die DC-Ikone nicht in Kansas sondern in der Sowjetunion gelandet wäre und in “Old Man Logan“ erzählte er vom Untergang des Marvel-Universums. Mittlerweile macht er im Label “Millarworld“ sein eigenes Ding, und Comics wie “Wanted“, “Kick-Ass“ oder “Kingsman“ liefern Steilvorlagen für Kino-Blockbuster.
Obwohl ihn das Superhelden-Genre groß gemacht hat, beschränkt sich Millar nicht darauf von kostümierten Rächern zu erzählen. “Starlight“ ist eine Liebeserklärung an pulpige Science Fiction im Stile von “Flash Gordon“, “Buck Rogers“ oder “Captain Future“. Im Zentrum der sechsteiligen Mini-Serie, die 2014 bei Image erschien, steht Duke McQueen. Der alte Herr ist gerade zum Witwer geworden, was für ihn besonders schmerzhaft ist. Seine Ehefrau Joanne war die Einzige, die dem ehemaligen Testpiloten glaubte, nachdem dieser vor 40 Jahren in ein Wurmloch geriet und auf einem weit entfernten Planeten landetet. Captain McQueen gelang es dort den Bewohnern dabei zu helfen sich von einem Tyrannen zu befreien, doch aus Liebe zu Joanne kehrte er wieder auf die Erde zurück.
Millars Comic schildert zunächst recht realistisch und mit viel Mitgefühl das Leben des alten aber keineswegs verbitterten Duke McQueen, der in Erinnerungen an seine galaktischen Abenteuer aber auch seine verstorbene Ehefrau schwelgt. Plötzlich landet jedoch ein Raumschiff in seinem Vorgarten und auf geht es zu neuen Abenteuern bei denen Duke McQueen beweisen kann, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört.
Millars Geschichte strotzt nur so vor jener galaktischen Phantasie, die George Lucas abhanden gekommen war, als er die Star Wars Episoden I bis III drehte. Doch durch die gut geerdete Charakterisierung der Hauptfigur wird die Geschichte nicht zur plumpen Retro-Space-Opera.
Eine Klasse für sich sind aber auch die Bilder des in Zagreb lebenden kroatischen Zeichners Goran Parlov (“Marvel Universe vs. The Punisher“). Sein klares Artwork lässt immer wieder an die “Incal“-Serie des großen Moebius denken.
Wie immer bei den Serien der “Millarworld“ gibt es auch zu den einzelnen Heften von “Starlight“ noch Variant-Cover. Diese stammen diesmal von meistern ihres Fachs wie Bill Siekiewicz, John Cassaday, sowie natürlich auch von Goran Parlov, und sind dankenswerterweise alle in diesem Panini-Sammelband abgedruckt.
Ein Trio von Geschäftsleuten stürzt sich ins großstädtische Nachtleben. Einer der nicht mehr ganz jungen Herren regt sich über Werbemaßnahmen auf, die Jugendliche dazu anregen sollen Präservative zu benutzen. Im nächsten Nachtclub kommt er sich dann besonders witzig dabei vor, als er beim Pinkel den Kondom-Automaten außer Betrieb setzt. Dies vermasselt ihm nicht nur den Geschäftsabschluss – da einer seiner Begleiter Kondome produziert – sondern auch den Abschluss des Abends, denn die von ihm angemachte Bardame steht nicht auf “unten ohne“.
Diese und zahlreiche andere Geschichten von “täglichen Wahn“ erzählte der spanische Comickünstler Miguelanxo Prado („Ardalén„) auf nur drei bis vier Seiten. Seine prächtig leuchtenden Farben stehen dabei nur scheinbar im Widerspruch zu den meist ziemlich böse endenden Erzählungen. Denn um eine Idylle zu demontieren muss diese zunächst erst einmal möglichst verlockend dargestellt werden. Als Zielscheibe seines Spottes dienen Prado großstädtische Typen wie (zumindest an ihrer Arbeit) desinteressierte Beamten oder Eltern, die wahre Wunderdinge von ihren durchschnittlich begabten Kindern erwarten, gelegentlich aber auch Vertreter der Landbevölkerung.
An “Der tägliche Wahn“ verblüfft nicht nur die Treffsicherheit und ihre Zeitlosigkeit, sondern auch die Vielfalt von Prados Zeichenkunst, denn kaum eine Geschichte ähnelt stilistisch einer anderen. “Der tägliche Wahn“ wurde in den 80er und 90er Jahren zunächst in diversen spanischen Magazinen veröffentlicht. Bei uns erschien die Serie in drei schon lange vergriffenen Alben bei Ehapa und wurde dort zum Glück als Gesamtausgabe im Hardcoverformat neu aufgelegt.
Seit 1998 veranstaltet Miguelanxo Prado übrigens alljährlich in seiner wunderschönen Heimatstadt A Coruña “Viñetas Desde O Atlántico“, das nach Barcelona zweitgrößte spanische Comicfestival.