Der Erste Weltkrieg wird in Frankreich “La Grande Guerre“ genannt, dies allerdings meist ohne Anführungszeichen. Dieser “große Krieg“, von dem viele glaubten er würde alle anderen Kriege beenden, hat den Zeichner Jacques Tardi(120, Rue de la Gare, Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIB ) immer wieder beschäftigt. Dies hat sehr persönliche Gründe. Durch seinen Großvater, der die Schlachtfelder von Verdun u. a. neben einer verwesenden Leiche überlebte, ist der 1946 geborene Tardi sehr sensibilisiert für dies Thema, denn er hat erlebt, was die traumatischen Erlebnisse aus dem Mann gemacht haben.
In Comics wie Soldat Varlot oder Grabenkrieg zeigt Tardi in eindringlichen meist schwarzweißen Bildern das Elend und Grauen, das die Frontsoldaten jahrelang durchleiden mussten. 2008 begann er mit der Veröffentlichung seines ambitioniertesten Comic-Projekts zu diesem Thema. Unter dem Titel Putain de guerre (wörtlich übersetzt “Hure des Krieges“) schilderte er in sechs 30 x 40 cm großen Heften jeweils auf 20 Seiten die Kriegsjahre 1914 bis 1919 (auch nach dem Waffenstillstand am 11.11.1914 war der Konflikt noch lange nicht beendet). Die Hefte enthielten zudem noch einen ausführlichen dokumentarischen Anhang von Tardis Szenaristen, dem Historiker Jean-Pierre Verney. Danach erschien Putain de guerre zunächst in zwei Bänden und schließlich als Gesamtausgabe, in der am Ende des Buches auch Verneys umfangreiche Anhänge enthalten ist.
2014 wurde auf dem Comicfestival in Angoulême mit Tardi et la Grande Guerre die größte Ausstellung der Veranstaltung gezeigt. Hier waren Tardis Comics inmitten einer beeindruckenden Installation zu sehen. Die Besucher gingen durch Gänge, die wie Schützengräben wirkten. Dies wurde akustisch unterstützt durch fernes Kriegsgrollen, aber auch durch zumindest inhaltlich passende Chansons von Tardis Gattin Dominique Grange. Das Kernstück der Ausstellung waren alle schwarzweißen und farbigen Originalzeichnungen sowie erstmals auch Skizzen aus Putain de guerre. Die Ausstellung endet konsequenterweise in einem Raum voller Soldatengräber und zerlumpter Nationalflaggen, deren Farben kaum noch zu erkennen sind.
Elender Krieg – so lautete der deutsche Titel von Putain de guerre – ist alles andere als ein konventioneller Comic über den Krieg. Tardi gestaltete seine Comicseiten fast immer in Form von drei sehr breiten untereinander angeordneten detailreich ausgeführten Einzelpanels. Diese sind zunächst – die damalige erste Begeisterung über “La Grande Guerre“ darstellend – noch recht farbenfroh koloriert, doch im weiteren Verlauf der Geschichte bzw. des Krieges dominieren graue, braune aber auch immer wieder blutrote Farbtöne die Bilder.
Tardi verzichtet ganz auf Sprechblasen und ergänzt seine eindringlichen Bilder stattdessen durch Kästen mit Jean-Pierre Verneys erläuternden aber oft auch bitter-zynischen Texten. Dadurch gelingt es im Kleinen wie auch im unfassbar Großen einen Eindruck zu vermitteln von den zermürbenden Jahren dieses völlig sinnlosen Konfliktes, der 10 Millionen Menschen das Leben kostete.
Der Aachener Zeichner Willi Blöss leistete schon als Herausgeber des Comic-Magazins Outside Beachtliches. Das Heft enthielt nicht nur irre komische Onepager mit seiner Figur Pastor Zipfel sondern auch zahlreiche Erstveröffentlichungen internationaler Zeichner. Seit 2002 hat Blöss mehr als 25 Comic-Biografien von Künstlern herausgebracht.
Diese erscheinen zum Preis von 3,- Euro als Heftchen mit 24 Comicseiten. Sie sind etwas kleiner als eine Postkarte. Für die Präsentation hat Blöß ein Verkaufsdisplay entwickelt und die Reihe ist in immer mehr Museen und Galerien erhältlich.
Blöss schrieb die gut recherchierten und sehr aufschlussreichen Texte dieser Serie immer selbst, war von Anfang an bei den Comic-Biografien auch als Zeichner tätig. So brachte er das Leben von Vincent van Gogh selbst in seinem lockeren und unverwechselbaren Cartoon-Stil zu Papier. Die Biographie von Andy Warhol erzählte Annette Schulze-Kremer in Bildern, die an die immer treffenden Karikaturen des MAD-Zeichners Mort Drucker erinnern. Auch Bernd Jünger fand für das unter dem Titel „Der lächelnde Schamane“ erschienene Comic über Joseph Beuys einen passenden Strich und hat dabei die unverwechselbaren Gesichtszüge des „Fett und Filz“-Künstlers sehr gut im Griff.
Weitere Höhepunkt waren die beiden von Thomas Thiesen gezeichneten Comics. Während seine Pablo Picasso-Biographie im Stil eines verspielten Kinderbuches gehalten ist, setzte er das Leben von Hieronymus Bosch in einem harten und kontrastreichen Strich um. Beide Comics sind auf ihre Art sehr eigen und gelungen, wobei kaum zu glauben ist, dass sie vom selben Künstler stammen.
Die weiteren Künstler-Biografien hat Willi Blöss fast komplett im Alleingang als Autor und Zeichner in verschiedenen Stilen realisiert. Die Kolorierung stammt von seiner Lebensgefährtin Beatriz López-Caparrós, die für das kurze aber bewegte Leben des Graffiti-Künstlers Keith Haring natürlich auf poppige Kontraste setzte.
Die Comic-Biographie von Frida Kahlo ist eine optimale Ergänzung zum erfolgreichen Kinofilm, da sie andere Akzente setzt und etwas mehr auf die politische Entwicklung der Künstlerin eingeht.
Ein weiterer Höhepunkt ist der Band zu Niki de Saint Phalle. Hier bringt Blöss erstaunlich sensibel (auch in Anbetracht das ihm lediglich 24 kleinformatige Seiten zur Verfügung standen) nicht nur das Werk, sondern auch die tragische Kindheit der von ihrem Vater vergewaltigten Künstlerin zu Papier.
Auch zum Leben von Salvador Dali hat Willi Blöss einen Band in gewohnter Qualität gezeichnet und veröffentlicht. Unter dem Titel “Die Paranoia-Methode“ wird zugleich Biografie, Interpretation und kritische Würdigung zu Leben und Werk des nicht unumstrittenen spanischen Surrealisten und Franco-Anhänger geboten.
Den Comic “In Wien ist Schatten“ über Egon Schiele setzte Stefan F. in bräunlich kolorierte Zeichnungen um. Hier ist in kompakter aber nicht oberflächlicher Erzählweise auch zugleich einiges über Schieles Zeitgenossen Gustav Klimt und Oskar Kokoschka zu erfahren.
Danach erschienen Comic-Biografien zu Otmar Alt, Horst Janssen, Nam June Paik und Der Blaue Reiter, die Willi Blöss im Alleingang realisierte. Ein weiterer Band beschäftigt sich mit George Grosz, der Anfang des letzten Jahrhunderts in seinen Gemälden das deutsche Spießbürgertum, den Militarismus und den aufkommenden Faschismus ebenso bissig wie treffsicher attackierte.
Für diesen Band war ursprünglich Ulf K. (“Neue Geschichten von Vater und Sohn“) vorgesehen, der auch schon einige Seiten anfertigte. Doch dessen eher unverbindlich-harmloser Stil wollte nicht so recht zum Thema passen. Thomas Thiesen sprang ein und illustrierte Leben und Werk von Grosz in einem kunstvoll holzschnittartigen Stil, der gelegentlich an Mike Mignola (“Hellboy“) denken lässt.
Genau wie George Grosz steht auch bei Klaus Staeck satirische Überzeichnung im Zentrum des künstlerischen und auf politische Aufklärung setzenden Wirkens. Inspiriert von den politischen Collagen John Heartfields hat der als Jurist ausgebildete Staeck auf seinen Plakaten ebenfalls immer wieder über die “Stützen der Gesellschaft“ gespottet. Diese provozierte er u. a. durch gefakte CDU-Plakate mit Slogans wie “Die Reichen müssen noch reicher werden“ oder “Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen in Tessin wegnehmen.“
Die von Willi Blöss getextete und gezeichnete Biografie sollte Klaus Staeck eigentlich als Geburtsgeschenk überreicht werden von der Berliner Akademie der Künste, deren Präsident er ist. Doch dann kam es anders und die Comic-Biografie entstand – ein Novum innerhalb der Reihe – in sehr enger Zusammenarbeit mit Staeck. Willi Blöss übernahm in die Veröffentlichung sogar Staecks handschriftlichen Freigabevermerk “gut zum Druck“. Dieser Expertise aus erster Hand kann nur beigepflichtet werden.
Auf Nummer sicher ging Blöss innerhalb der Reihe nicht. Anstatt im achtzehnten Band (nach “Romantik: Caspar David Friedrich, William Turner„) aus den Leben von mehrheitsfähigen (und eigentlich längst überfälligen) Künstlern wie Monet oder Chagall zu erzählen, kommt er uns mit Paula Modersohn-Becker. Diese dürfte etwas weniger bekannt als Lena Meyer-Landshut sein, doch auf dem Cover ist als Orientierungshilfe noch der Reim “und von Worpswede sei die Rede“ zu lesen.
In eine Reihe mit Vincent van Gogh gehört Modersohn-Becker schon dadurch, dass sie zu Lebzeiten fast gänzlich unbekannt und unausgestellt blieb. Erst nach ihrem Tod im Jahre 1907 – sie wurde nur 31 – entdeckte man in ihrem Atelier eine Unzahl höchst bemerkenswerter Gemälde und Zeichnungen. Diese wurden z. T. von ihrem Ehemann Otto Modersohn, einem Mitbegründer der Künstlerkolonie Worpswede, nachsigniert und danach erfolgreich ausgestellt.
Wer die Comic-Biografie über Paula Modersohn-Becker liest, dem wird sehr schnell klar warum Willi Blöss diese bemerkenswerte Persönlichkeit porträtiert hat. Zwar vermittelt er wie immer auch eine Unmenge von sauber recherchierten Fakten, erzählt aber auch die zeitlos-moderne Geschichte einer selbstbewussten Frau, die gegen den Zeitgeist anschwimmt und alles dransetzt um sich ihre (künstlerische) Freiheit zu bewahren. Wenn Willi Blöss demnächst wieder einen unbekannten Prominenten porträtiert, werde ich mich nicht mehr wundern, sondern mich vertrauensvoll auf das Büchlein stürzen.
Es folgten ebenso lesenswerte von Blöß gezeichnete und geschriebene Biografien über Hundertwasser, Gustav Klimt, David Hockney, Robert Capa, Peter Paul Rubens, Magritte, Camille Claudel und Wilhelm Busch.
Einige der Comic-Biografien liegen mittlerweile auch im größeren Format von 17 x 24 cm als Hardcover-Ausgaben vor. Besonders empfehlenswert ist der Sammelband unbefugtesBetreten – Frauen in der Kunst, der die Comic-Biografien zu Camille Claudel, Frida Kahlo, Paula Modersohn-Becker, Tamara de Lempicka und Niki de Saint Phalle enthält.
Aktuell ist der 43. Band der Reihe erschienen, der sich mit Frank Lloyd Wright beschäftigt.
„Cambeyrac, 1943, Ein Land im Krieg, ein Dorf in dem der Krieg weit weg ist.“
Der junge Julien Sarlat sollte aus seinem kleinen französischen Dörfchen nach Deutschland zur Zwangsarbeit deportiert werden. Bei einem Zugunglück kann er fliehen. Als er zu seiner Tante zurückkehrt, erfährt er, dass er als tot gilt, weil eine Leiche mit seinen Papieren gefunden wurde. Er versteckt sich im leeren Schulhaus des Dorfes, beobachtet seine eigene Beerdigung und vor allem höchst eifersüchtig seine geliebte Cécile.
Der Aufschub wurde vom zuvor eher für softpornographische Comics bekannten Jean-Pierre Gibrat (Mattéo) spannend erzählt und in sehr stimmungsvoll aquarellierte Bilder umgesetzt. Die Kritiker des Fachmagazins RRAAH! kürten den ersten Band von Der Aufschub zum „Comic des Jahres“ und entsprechend hoch waren die Erwartungen danach beim abschließenden zweiten Teil.
Doch Gibrat enttäuschte auch hier nicht und erzählt weiterhin scheinbar idyllisch vom Zweiten Weltkrieg in der französischen Provinz. Zwar gab es auch 1944 immer mal wieder unangenehme Zwischenfälle mit der Miliz und der immer stärker werdenden Resistance, aber Julien interessiert sich eigentlich nur für seine Cécile, der er endlich gezeigt hat, dass er noch lebt. Er darf nun zwar in ihrem Zimmer schlafen, aber so richtig auf seine Kosten kommt er doch nicht, angeblich weil die Großmutter nebenan schläft.
Julien hat in seinem Versteck auch Waffen für den Widerstand gebunkert. Von den Resistance-Kämpfern wird er ziemlich rüde behandelt, als diese ihr Material abholen. Dies öffnet ihm die Augen und er bricht nach Paris auf um dort für den Widerstand arbeiten…
Mittlerweile liegt auch eine sehr schöne Hardcovergesamtausgabe von Der Aufschub vor, die als Bonusmaterial noch 16 Seiten mit Skizzen und zusätzlichen Illustrationen enthält. Weitere wunderschöne Aquarelle von Gibrat enthält das Artbook Jeanne und Cécile. In Laufe der Geschichte, die Gibrat in seinem Comic Von Dieben und Denunzianten erzählte, eröffnet er dem Leser, dass es sich bei der Hauptfigur Jeanne um die Schwester von Cécile handelt.
In seinem letzten Comic Das Komplott – Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion beschäftigte sich Will Eisner (Ein Vertrag mit Gott) kurz vor seinem Tod 2005 sehr ausführlich mit Antisemitismus und einem gefälschten Dokument, das die angebliche jüdische Weltverschwörung belegen soll. Bereits zwei Jahre zuvor hat Eisner ein ähnliches Thema behandelt.
In Charles Dickens Roman Oliver Twist gibt es einen nicht eben sympathisch gezeichnete jüdischen Straßenganoven namens Fagin, der eine ganze Kinderschar zu Straftaten anstachelt. Einige von Dickens‘ Zeitgenossen empfanden diese Figur als eine unangenehme rassistische Karikatur. Dies wurde noch durch George Cruikshanks Illustrationen zum Roman unterstrichen, in denen Fagin hässlich mit Zottelbart und Hakennase dargestellt wurde.
Illustration zu Oliver Twist von George Cruikshanks
Der Autor eliminierte in späteren Auflagen etliche Stellen in denen er Fagin einfach nur als “Der Jude“ bezeichnet hatte. Doch das Klischee vom diebischen und hinterhältigen Juden überlebte. So legte sich z. B. Alec Guinness 1948 bei einer Oliver Twist-Verfilmung von David Lean bei seiner Darstellung des Fagin dermaßen stark in die (rassistische) Kurve, dass viele seiner Szenen in den USA und bei uns herausgeschnitten wurden.
Ungefähr zur selben Zeit ließ Eisner neben seinem maskierten Comic-Detektiv The Spiriteinen kleinen dunkelhäutigen Helfer namens Ebony agieren, den Brian Michael Bendis nicht grundlos im Vorwort zu diesem Buch als “offen gesagt ziemlich rassistische Karikatur“ bezeichnet. In späteren Jahren, als sich Eisner in seinen Comics wie in Zum Herzen des Sturms (enthalten im Sammelband Lebensbilder) mit seiner jüdischen Herkunft beschäftigte, war ihm dieser Ebony etwas peinlich.
Dies könnte einer der Gründe sein warum Eisner sich mit Dickens‘ markanter Nebenfigur Fagin beschäftigte. In seinem 2003 entstandenen Comic Fagin the Jew (der deutsche Titel des Buch ist mit “Ich bin Fagin“ alle andere als werkgetreu) erhält der Schurke eine tragische Vorgeschichte an. Nah orientiert an historischen Tatsachen erzählt Eisner, was es bedeutete im London des 19. Jahrhunderts als jüdisches Kind aufzuwachsen.
Der schon früh seinen Vater verlierende Fagin wird am Anfang des Comics gar zu einer Art jüdischen Oliver Twist. Eisners Bestreben historische Zusammenhänge zu vermitteln, lassen diesen Teil der Geschichte manchmal etwas arg konstruiert wirken. In der zweiten Hälfte seines Comics erzählt Eisner, der auch Moby Dick und Don Quichotte als Comic adaptierte, die aus Dickens‘ Oliver Twist bekannte Geschichte noch einmal neu. Dabei lässt er Fagin allerdings deutlich sympathischer erscheinen.
Abgerundet wird dieses sehr schön editierte Buch durch hochinteressante Vor- und Nachworte von Eisner und dem Journalisten Jeet Heer. Der Comicautor Brian Michael Bendis (Ultimate Spider-Man) schreibt in seinem Vorwort recht treffend zu Fagin the Jew: “Ich finde, einen wahren Meister erkennt man daran, dass auch eins seiner kleinen Werke ein wichtiges Werk ist.“
1864 verfasste Maurice Joly in Paris das Buch Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu mit dem er die diktatorischen Herrschaftsmethoden von Napoleon III anprangern wollte. Dieses Buch missbrauchte der russische Fälscher Matwej Golowinski als er es im Auftrag einiger intriganter russischer Adliger in die Protokolle der Weisen von Zion umschrieb und als Niederschrift eines 1897 in Basel durchgeführten zionistischen Nationalkongresses ausgab.
Diese gefälschten Protokolle dienen immer wieder und immer noch als “Beweis“ einer jüdischen Weltverschwörung. Beständig wurden schlagende aber nie endgültige Gegenbeweise angeführt, doch die Protokolle erleben weiterhin weltweit auch heute noch zahlreiche Neuauflagen. Will Eisner (The Spirit, Ein Vertrag mit Gott), der Vater der anspruchsvollen Comic-Erzählung, hat zu diesem Thema ausführlich recherchiert. Sehr klar gegliedert und mit all seiner Zeichenkunst vermittelt er die Entstehung der “Protokolle“ und deren Missbrauch.
Das Komplott – Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion war für Will Eisner eine Herzensangelegenheit. Im Vorwort des Buches ist zu lesen, dass er in seiner Jugend “schmerzvolle Zwischenfälle und Ungerechtigkeiten erlebte, die Juden damals in der amerikanischen Gesellschaft erdulden mussten“. Das Komplott wurde zur letzten Graphic Novel des im Januar 2005 verstorbenen Will Eisners. Das sorgfältig editierte und mit einigen informativen Vor- und Nachworten (u. a. von Umberto Eco) versehene Buch belegt schlüssig, dass es sehr viel leichter ist ein Gerücht in die Welt zu setzen als es danach wieder aus der Welt zu schaffen.
In den USA fanden Comics zunächst nur in den Zeitungen und dort ganz besonders in den Sonntagsbeilagen statt. Hier gab es in den 30er-Jahren, neben abgeschlossenen Cartoons und Strips, atemberaubend bebilderte Fortsetzungsgeschichten um Tarzan, Flash Gordon und Prinz Eisenherz. Doch die durch erste Superhelden wie Superman und Batman an Popularität rasch zunehmenden Comichefte waren für die oft nur wegen der Comicbeilage gekauften Zeitungen eine erhebliche Konkurrenz.
Daher wurde im Herbst 1939 der 22-jährige Will Eisner (Ein Vertrag mit Gott) beauftragt ein 16-seitiges Comic-Magazin mit abgeschlossenen Geschichten zu konzipieren. Dieses sollte landesweit den Zeitungen beigelegt werden. Eisner füllte das Magazin mit der kostümierten Lady Luck von Chuck Mazoujian, dem Zauberer Mr. Mystic von Bob Powell und seiner eigenen Schöpfung The Sprit, die später als Einzige übrig blieb, nachdem während des Kriegs der Umfang des Magazins auf 8 Seiten reduziert wurde.
Beim Spirit handelt es sich um den angeblich toten Privatdetektiv Denny Colt. Dieser trägt zwar eine Maske, hat aber ansonsten wenig mit den Superhelden gemein. Eisners Zeichenstil ist von Anfang an eher cartoonhaft als bemüht realistisch. Die Stories hingegen sind oft alles andere als lustig und erzählten auf 7 oder 8 Seiten richtige kleine Dramen. Dabei trat bei Bedarf die Hauptfigur schon einmal völlig in den Hintergrund.
Versehen mit einigen informativen Vorworten (u. a. von Will Eisner und von Alan Moore) veröffentlich Salleck Publications in chronologischer Reihenfolge alle Spirit-Abenteuer. Der erste Band enthält die von 2. Juni bis 29. Dezember 1940 entstandenen und naturgemäß noch etwas simpleren Geschichten.
Doch recht schnell gelang es Eisner trotz gewaltigen Zeitdrucks aus seiner Serie etwas Besonderes zu machen. Das zeigte sich schon auf den ersten Blick, denn Eisner veränderte den Spirit-Schriftzug von Ausgabe zu Ausgabe und spielte auch damit, dass der Hauptfigur manchmal bewusst war, dass ihre Abenteuer am Zeichentisch entstanden sind.
Die interessantesten Spirit-Stories entstanden jedoch, nachdem Eisner, der eingezogen wurde und als Soldat der US-Streitkräfte ebenso lehrreiche wie witzige Broschüren in Comicform zeichnete, ins Zivilleben zurückkehrte. Der US-Herausgeber Denis Kitchen meint zu den ganz ohne die Beteilung des Spirit-Schöpfers entstanden „Geschichten von Ende 1942 bis Dezember 1945 keine hohe – noch nicht einmal mittelmäßige – Comickunst sind.“
Weihnachten 1945 zeichnete Will Eisner nach mehr als drei Jahren erstmals wieder eine Spirit-Geschichte. Daher ist auf dem Cover von Band 12 des Spirit-Archives auch “Will Eisner ist zurück“ zu lesen, und es sind einige wirklich ergreifende oder auch richtig lustige Geschichten enthalten.
Es ist großartig, dass Salleck Publications alle klassischen Spirit-Geschichten, auch die etwas weniger gelungenen Geschichtens aus der Kriegszeit (meist garniert mit Comics, die Eisner zeitgleich für die US.Army gezeichnet hatte) in einer vorbildlich editierten 24-bändigen Hardcover-Edition auf Deutsch veröffentlicht hat. Der letzte Band der Reihe enthält mit dem von Wally Wood gezeichneten Science-Fiction-Comic mit dem Spirit einen Höhepunkt der Serie.
In den USA sind bei DC noch zwei weitere Ausgaben der Archiv-Reihe erschienen. Enthalten sind die zwischen 1941 und 1944 enstandenen schwarzweißen Newspaper Strips, sowie die Spirit-Comics, die Eisner ab 1952 in verschiedenen Publikationen veröffentlichte.
Es ist sehr erfreulich, dass Carlsen recht zügig und mustergültig (bräunlicher Druck auf gelblichen Papier) die Graphic Novels von Will Eisner (The Spirit) veröffentlicht. Nach dem Sammelband Ein Vertrag mit Gott folgen unter dem Titel New York weitere Großstadtgeschichten“ und mit Lebensbilder war die Reihe leider schon beendet. Der einzige Nachteil dieses Bandes dürfte sein, dass die Storys nicht chronologisch geordnet sind.
Den Reigen eröffnet Eisners Big City Blues (1981). Diese oft nur eine Seite umfassenden thematisch gegliederten “Eindrücke und Beobachtungen“ über Mensch und Bebauung sind zwar meisterlich gezeichnet aber meistens alles andere als pointiert oder tiefsinnig. Deutlich interessanter sind da schon die ebenfalls sehr kurzen, nach Themenkomplexen geordneten Geschichten und Beobachtungen aus Eisners City People Notebook (1989). In Begleitung eines Obdachlosen setzt sich der zeichnende Eisner gelegentlich am Rande der Minidramen selbst in Szene und liefert interessante Betrachtungen über das Mit- und Gegeneinander in der Großstadt.
Noch gelungener sind The Building (1987) und Unsichtbare Menschen (1992). Auch hier erzählt Eisner in Episodenform, doch die einzelnen Geschichten sind deutlich länger und bilden sehr viel stärker eine Einheit. In The Building geht es um vier Menschen, deren glücklose Leben mit einem an das New Yorker Flatiron Building erinnernden Gebäude verknüpft waren. Nachdem dieses abgerissen wurde, sind die Geister dieser Menschen noch immer da. Die drei Geschichten aus Unsichtbare Menschen gehören zu den Höhepunkten in Eisners Schaffen. Äußerst mitreißend beschäftigt er sich hier damit, dass viele Großstädter inmitten einer Millionenschar von Mitmenschen ein sehr einsames Leben führen und dies teilweise auch nicht anders wollen.
Insgesamt ist dieser Band eine faszinierend vielschichtige nicht nur auf New York bezogene Betrachtung über das zumeist recht harte Leben in einer Großstadt. In einer Short Story stellt Eisner jedoch unmissverständlich klar, dass ein Umzug in ländlichere Regionen (zumindest für ihn) keine Alternative dazu ist.
Auch in den Geschichten aus Ein Vertrag mit Gott ließ Will Eisner (The Spirit) Teile der eigenen Biografie einfließen, wie etwa den Tod der einzigen Tochter Alice, die im Alter von 16 Jahren an Leukämie starb. Doch die Geschichten in Lebensbilder, dem nach New York – Großstadtgeschichten – dritten Band von Carlsens Eisner Reihe, hängen allesamt noch stärker mit dem Leben des wohl einflussreichsten US-Comickünstlers zusammen.
Den Auftakt bildet Sonnenuntergang in Sunshine City, hier verarbeitet Eisner seinen Umzug vom geliebten New York in den Alterswohnsitz im sonnigen Florida. In Der Träumer schildert er seine Erfahrungen in den Anfangsjahren der Comic-Industrie. Beide Geschichten sind bei uns bereits beim Fest Verlag unter dem Titel Sunshine City erschienen.
Die dort ebenfalls enthaltenen Kurzgeschichten Detective Story, Menschen und Der Einspruch fehlen in der Carlsen-Ausgabe, doch dafür gibt es ein aufschlussreiches Nachwort zu Der Träumer, in dem Denis Kitchen erklärt welche Comicgrößen neben dem als Jack King gut zu erkennenden Jack Kirby Eisner jeweils leicht überzeichnet porträtierte.
In der epischen Erzählung Zum Herzen des Sturms tritt Eisner selbst als Soldat auf, der 1942 per Zug die USA durchquert um in den Krieg zu ziehen. In Rückblenden erinnert er sich an eigene Erlebnisse und die Biografien seiner Eltern und Großeltern, die alle geprägt sind von Vorurteilen und Antisemitismus. Im Vorwort dazu schrieb er: “Ich jedenfalls halte an der Hoffnung fest, dass die Generation, die jetzt heranwächst, nicht mehr einfach davon ausgehen kann, dass sie gesellschaftliche Überlegenheit und damit ein Recht habe, andere zu diskriminieren.“
In der ebenfalls sehr umfangreichen Erzählung So läuft das Spiel (The Name of the Game) widmet sich Will Eisner dem Stammbaum seiner aus wohlhabenden Verhältnissen stammenden Frau Ann. Diese Geschichte aus dem Jahre 2001 wurde bei uns bisher noch nicht veröffentlicht, vielleicht auch, weil Eisner hier einen Clan von dünkelhaften jüdischen Geld-Aristokraten nicht eben vorteilhaft porträtiert und Applaus aus der falschen Richtung befürchtet wurde. Besonders interessant an So läuft das Spiel ist, dass am Ende der Geschichte Eisner sich selbst als aufstrebenden Poeten auftreten lässt und darüber spekuliert, was geschehen wäre, wenn er seinerzeit dem Angebot seines Schwiegervaters gefolgt wäre und in die Welt der Hochfinanz gewechselt hätte.
Das voluminöse Buch beendet die kurze aber wohl wahre traurige Humoreske Der Tag an dem ich zum Profi wurde. Lebensbilder war leider schon der letzte Band von Carlsens Eisner-Reihe, was sehr bedauerlich ist. Noch haufenweise hochinteressante Erzählungen von ihm warten auf ihre deutsche Erstveröffentlichung und sind allemal lesenswerter als das meiste Zeug, das unter dem Label Graphic Novel in die Buchhandlungen gewuchtet wird.
Lange hat es gedauert, bis dieser Comic-Meilenstein wieder aufgelegt wurde. Während alle möglichen (und unmöglichen) Comics das – anscheinend zum Verkauf in Buchhandlungen unverzichtbare – Label Graphic Novel verpasst bekamen, war die „Mutter aller Grapic Novels“ bei uns seit beinahe 30 Jahre nicht mehr lieferbar.
Mit Ein Vertrag mit Gott erlebte Will Eisner 1978 ein grandioses Comeback innerhalb der amerikanischen Comiclandschaft, die er zuvor schon einmal – inhaltlich und formal – mit den The Spirit-Kurzgeschichten revolutioniert hatte. Nach Einstellung der Serie arbeitete er als u. a. Illustrator für die Army.
Angeregt durch die Underground-Comics machte sich Eisner daran, eine Comicgeschichte (bzw. gleich vier davon) zu erzählen, die sich an ein erwachsenes Publikum richtete(n). Um hierfür einen Buchverlag begeistern zu können, erfand er den Begriff Graphic Novel.
Inspiriert durch eigene tragische Erlebnisse erzählt Will Eisner in der Titelstory von Ein Vertrag mit Gott wie ein frommer Mann nach dem Tode seiner Tochter an seinem Glauben zweifelt und zum rücksichtslosen Geschäftsmann wird. Die weiteren Geschichten handeln von einem talentierten Straßensänger, der kurz vor dem großen Durchbruch viel (nicht ganz unverdientes) Pech hat, sowie von einem unangenehmen Hausmeister, dem so übel mitgespielt wird, dass er dem Leser am Ende leid tut.
Krönender Abschluss ist die Schilderung der Landpartie einiger Bewohner der New Yorker Dropsie Avenue (in dieser fiktiven Straße sind alle Geschichten beheimatet). Mit großem Ensemble setzt Eisner hier äußerst souverän und sehr freizügig allerlei Geschichten über das Streben nach Glück und Liebe in Szene.
Doch die voluminöse sehr schön aufgemachte Carlsen-Ausgabe enthält neben Ein Vertrag mit Gott sowie informativen Vor- und Nachworten noch zwei weitere (ebenfalls schon lange vergriffene) Bücher von Eisner, die ebenfalls von der Dropsie Avenue erzählen. In Lebenskraft wird unaufdringlich innerhalb spannender Geschichten die Frage gestellt, was den Menschen eigentlich unterscheidet von einer nur um das nackte Überleben kämpfenden Kreatur wie z. B. einer Küchenschabe.
Dropsie Avenue schließlich ist die sich von 1870 bis in die Gegenwart hinziehende Chronik einer Nachbarschaft. Dabei interessieren Eisner die Vor- und Nachteile ständiger gesellschaftlicher Veränderungen. Eisners Mietshaus-Stories sind zwar meist in den 30er- und 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts angesiedelt, wirken aber auch heute noch kein bisschen veraltet oder nostalgisch. Obwohl es recht häufig um Glaubensangelegenheiten geht, sind die Geschichten äußerst mitreißend erzählt. In der gleichen Aufmachung sind bei Carlsen unter den Titeln Großstadtgeschichten und Lebensbilder weitere New-York-Geschichten von Eisner erschienen.
In seinem autobiographischen – mittlerweile bereits in der vierten Auflage vorliegenden – Roman Rohrkrepierer – Eine Jugend auf St. Pauli erzählt Konrad Lorenz (nicht der Zoologe mit den Graugänsen) davon, wie es war in der Nachkriegszeit mitten auf dem Kiez aufzuwachsen. Isabel Kreiz, deren Atelier sich ebenfalls in dieser Gegend befindet, hat in Comics wie Die Entdeckung der Currywurst immer wieder gerne Geschichten aus der Hansestadt erzählt und ihr gelang eine sehr lebendige Adaption von Lorenz‘ Roman.
Zentrale Figur von Rohrkrepierer ist Kalle, der mit seinen Freunden die Nachkriegszeit zwischen Reeperbahn, Großer Freiheit und Herbertstraße als oft nicht ganz ungefährliches Abenteuer erlebt. Der erste Teil der Erzählung beschäftigt sich damit, wie der zunächst von der Mutter und vor allem von seiner Oma großgezogene Kalle plötzlich mit seinem körperlich zwar unversehrten aber durch den Krieg traumatisierten heimkehrenden Vater klar kommen muss.
Dies gelingt Kalle besser als seiner Mutter, die erfolgreich auf dem Schwarzmarkt handelt und große Schwierigkeiten hat, in ihre Rolle als treusorgende Ehefrau zurückzukehren. Im Anfang der Sechziger Jahre angesiedelten zweiten Teil erzählt “Rohrkrepierer“ u. a. davon, wie es Kalle gelingt seine Unschuld zu verlieren, ohne dafür die Dienste der ihm oftmals gut bekannten Damen aus dem horizontalen Gewerbe in Anspruch nehmen zu müssen.
Isabel Kreiz machte aus Lorenz‘ Roman eine fast 300-seitige Comicerzählung, deren nur sehr spärlich kolorierten Bilder wirken, als wenn sie Standbilder eines Schwarzweißfilms aus den Fünfziger Jahren wären.
Einmal mehr beweist die auch hier wieder sehr detailreich arbeitende Zeichnerin ihre Meisterschaft im ohne viele Worte auskommenden Comic-Erzählen, in der Rekonstruktion vergangener Zeitepochen und natürlich auch wieder bei der Wahl einer sehr gut zur Adaption geeigneten Vorlage.