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Jean-Claude Denis: Auf nach Matha

Ziemlich überraschend wurde 2012 der bei uns kaum bekannte Jean-Claude Denis in Angoulême zum Festivalpräsidenten gewählt. Im nächsten Jahr erfreute er die Besucher des 40. Festival International de la Bande Dessinée mit einer sehr schönen Werkschau. Hier konnte sein durchaus eigenständiger Strich irgendwo zwischen Ligne Claire und École Marcinelle aber auch seine Meisterschaft als Aquarellmaler bewundert werden.

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Wer diese liebevoll präsentierte Ausstellung besuchte, die auch die Liebe des Zeichners zur Popmusik thematisierte, und den freundlich-bescheidenen Jean-Claude Denis in Angoulême erlebte, fragte sich zwangsläufig warum dessen Werk bei uns so unterrepräsentiert ist. 1984 veröffentlichte Taschen den Band “Die sieben Todsünden“ und in den Neunziger Jahren erschienen bei Carlsen drei Bände von Dennis’ 8-teiliger Serie Luc Leroi, seltsamerweise unter dem Titel Luc Lamarc. Doch jetzt hat sich Eckart Schott der Sache angenommen, dessen Engagement als Comicverleger gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Schott veröffentlichte nicht nur dessen aktuelle zweiteilige Serie “Auf nach Matha“ als schöne Hardcover-Gesamtausgabe, sondern holte auch noch Jean-Claude Denis zum Comicfestival nach München.

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JEAN CLAUDE DENNIS AUF DEM COMICFESTIVAL MÜNCHEN 2015 © Marion Strencioch

Dennis’ in schönen klaren Bildern erzählte Geschichte “Auf nach Matha“ ist ganz gewiss kein großes Spektakel. Doch für die Hauptfigur, den 16-jährigen Antoine, ist jener Sommer-Urlaub, den er erstmals nicht mit seinen Eltern verbringt, ein entscheidender Lebensabschnitt. Gegen den Willen seines Vaters fährt er mit seinen Freunden – und vor allem mit der von ihm heiß begehrten Christelle – nach Matha auf einen Campingplatz. Er lernt es sich durchzusetzen und sieht am Ende der Geschichte erstmals seiner Zukunft gelassen entgegen. Dieser mit autobiographischen Elementen versetzte Comic lebt zwar auch vom liebevoll dargestellten Zeitgeist der 60er Jahre und von der damaligen Popkultur, ist aber zugleich auch wunderbar zeitlos.

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Paco Roca: Die Heimatlosen

Paco Roca (La Casa, Kopf in den Wolken) beschrieb in Der Winter des Zeichners vor dem Hintergrund der Comicszene das Leben im Spanien Ende der Fünfziger Jahre unter Franco. Seinerzeit ließ es sich materiell gar nicht so schlecht leben, persönliche oder künstlerische Freiheit hingegen war Mangelware. Rocas Die Heimatlosen ist eine interessante Ergänzung zu Der Winter des Zeichners, denn hier geht es um jene Spanier, die durch Franco entwurzelt wurden.

Paco Roca: Die Heimatlosen

Im Zentrum von Paco Rocas nah an tatsächlichen Ereignissen orientierter Geschichte stehen spanische Soldaten, die den Bürgerkrieg gegen Franco verloren haben, aber dennoch weiter gegen den Faschismus kämpften. Die erste Brigade, die 1944 im von den Nazis befreiten Paris das Rathaus zurück eroberte, bestand überwiegend aus Spaniern. Auch ansonsten kämpften spanische Soldaten an vielen Fronten des Zweiten Weltkriegs gegen die Deutsche Wehrmacht. Doch für sie ging der Krieg 1945 nicht wirklich siegreich zu Ende, denn Franco sollte in Spanien noch bis zu seinem Tode im November 1975 herrschen.

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Paco Roca hat mit einigen jener Soldaten gesprochen, die nach dem Ende des Krieges nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten und nicht wussten wo sie hingehören. Diese Gespräche haben ihn zur Geschichte seines Comics Die Heimatlosen inspiriert, aber auch zur Rahmenhandlung, die in blassen Bildern davon erzählt, wie Paco Roca als Comicfigur einen verschlossenen alten Mann namens Miquel Ruiz in einem kleinen französischen Ort besucht.

Paco Roca: Die Heimatlosen

Nach und nach gewinnt Paco das Vertrauen von Ruiz. Dieser erzählt von seiner Odyssee, die ihn von Alicante nach Marokko, zur Ausbildung nach England und schließlich mitten hinein ins umkämpfte Frankreich führte.

PACO ROCA
PACO ROCA AUF DEM COMICFESTIVAL MÜNCHEN 2015 © Marion Strencioch

Diesen Teil seines Comics setzte Roca farbig in Szene und informiert zwischendrin in Form von Landkarten aber auch darüber, wohin es viele Spanier nach Ende des Bürgerkriegs verschlagen hat. Im Finale der Comicgeschichte kommt heraus, wieso Miquel Ruiz ausgerechnet in dem französischen Kaff hängen geblieben ist. Der Grund, warum Miquel Ruiz dort eine Ersatz-Heimat gefunden hat, ist traurig, aber menschlich genauso anrührend wie Paco Rocas gesamter Comic.

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Paco Roca: Der Winter des Zeichners

Paco Rocas (Die Heimatlosen, La Casa) preisgekrönter und bereits als Zeichentrick verfilmter Comic Arrugas (Kopf in den Wolken) über die Freundschaft zweier Bewohner eines Altersheims im Schatten einer Alzheimer-Erkrankung, kam bei uns erst sehr viel später heraus. Daher verwundert es, dass es sich bei der ersten deutschen Veröffentlichung des spanischen Comickünstlers, die Reprodukt 2012 veröffentlichte, um ein sehr stark regional geprägtes Werk handelt.

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Basierend auf tatsächlichen Ereignissen erzählt Der Winter des Zeichners von fünf spanischen Lohn-Zeichnern, die im unfreien Franco-Spanien des Jahres 1957 den Schritt in die Freiheit wagten. Beim auf junge Leser spezialisierten Verlagshaus Bruguera hatten sie zwar ein gesichertes Einkommen, aber keinerlei Rechte an den von ihnen gezeichneten und getexteten Comics.

Paco Roca: Der Winter des Zeichners

Auch künstlerische Freiheit galt dort nichts, denn es herrschte Angst vor der Zensur. Daher gründete das Quintett ein eigenes Comicmagazin namens Tio Vivo, das sich an ein erwachsenes Publikum richtete. Das Projekt scheiterte, weil Brugera seine Beziehungen spielen ließ und Vertriebswege blockierte.

Paco Roca: Der Winter des Zeichners

Die Zeichner kehrten wieder an ihre ungeliebten Arbeitsplätze zurück oder veröffentlichten nur noch im Ausland. Eine kleine Rolle innerhalb der Geschichte spielt der junge Newcomer Francisco Ibáñez, dessen Serie Mortadelo y Filemón in Deutschland als Clever & Smart ein großer Erfolg wurde.

Paco Roca: Der Winter des Zeichners

Paco Rocas Bilder der Straßen und Bars von Barcelona sowie der Verlagsräumlichkeiten sind ebenso akkurat wie atmosphärisch ausgeführt. Die Figuren, die diese Szenerien bevölkern, wirken hingegen etwas steif und emotionslos. Doch diese Schwäche gleicht Roca durch einen originellen Einfall aus: Um zu verdeutlichen wie zwischen den ineinander verschachtelten Zeitebenen seiner Geschichte die Jahreszeiten wechseln, verwendet er verschiedenfarbiges Papier.

Paco Roca: Der Winter des Zeichners

Der hoffnungsvolle Frühling des Aufbruchs schimmert rötlich, der Winter, in dem die Zeichner zurück in die Verlags-Knechtschaft kehren, ist mit einem kalten Blau unterlegt, während die Erlebnisse im Sommer und Herbst auf gelben bzw. brauen Papier gedruckt wurden.

PACO ROCA
PACO ROCA AUF DEM COMICFESTIVAL MÜNCHEN 2015 © Marion Strencioch

Der Winter des Zeichners richtet sich nicht nur an eingefleischte Comicfans. Die mit vielen Zwischentönen versehene Geschichte zeichnet gut nachvollziehbar das Bild eines Nachkriegs-Spaniens, in dem relativer Wohlstand und das beständige Aufsuchen von Bars nicht wirklich helfen, damit klarzukommen in einer Diktatur zu leben. Zugleich erzählt Paco Roca wie wichtig es ist, eine Sache gewagt zu haben, selbst wenn sie am Ende scheitert.

Paco Roca: Der Winter des Zeichners

Zum 30. Verlagsjubiläum veröffentlicht Reprodukt 2021 schöne und preiswerte Hardcover-Ausgaben von Daniel Clowes’ Ghost World, Anke Feuchtenbergers Die Spaziergängerin, Camille Jourdys Rosalie Blum, sowie von Der Winter des Zeichners.

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Marjane Satrapi: Persepolis

Nachdem in Persien der Schah abdankte „wird diese traditionsreiche Zivilisation fast ausschließlich mit Fundamentalismus, Fanatismus und Terrorismus in Verbindung gebracht“, schreibt Marjane Satrapi im Vorwort dieses Comics. Um dem entgegenzusteuern hat die 1969 im Iran geborene Zeichnerin ihre Kindheits- und Jugenderlebnisse in Form von Comics zu Papier gebracht. Ihre schwarzweißen Zeichnungen sind dabei zwar schlicht aber die Geschichte ist dennoch ergreifend.

Marjane Satrapi: Persepolis - Eine Kindheit im Iran

Marjane Satrapi zeigt am Anfang von Persepolis in sehr einfachen aber klaren Illustrationen wie ein kleiner analphabetischer Offizier namens Reza von den Engländern zum König von Persien gemacht wurde. Reza hatte die volle Unterstützung der Großmacht, er musste nur das persische Erdöl an Großbritannien abtreten. Rezas Sohn schließlich wurde zum ungeliebten Schah und nach einer Revolution entmachtet.  Satrapi schildert wie ihre Verwandten vor, während und nach der Revolution unter den wechselnden Regimen zu leiden hatten.

Persepolis - Eine Kindheit im Iran

Sie erzählt aber auch von ihren eigenen Erlebnissen im Iran, ihren teilweise lebensgefährlichen Bemühungen um etwas Individualität, die schließlich darin gipfeln, dass sie das Land als Jugendliche verlässt und für einige Jahre in Österreich lebt. In dieser ebenfalls nicht gerade einfache Zeit als Fremde im westlichen Ausland, drohte Satrapi nach einigen persönlichen Enttäuschungen das Schicksal einer Obdachlosen. Eine Rückkehr in den Iran und die Heirat mit einem Landsmann stellt auch keine Lösung da und die Erzählung endet damit, dass Marjanes ihr Heimatlandes endgültig verlässt.

Heute lebt Marjane Satrapi in Frankreich. Mit Persepolis gelang ihr sowohl ein Buch über die persische Geschichte als auch die nachfühlbare Schilderung einer Kindheit und Jugend in einer instabilen und bedrohlichen Umwelt. Satrapis Familie und Freundeskreis wirken nicht wie Gestalten aus Tausendundeine Nacht, sondern sehr vertraut. Persepolis ist ein wichtiges Buch, das dazu betragen kann, Vorurteile abzubauen und in Frankreich 100.000-fach verkauft, sowie von Satrapi zusammen mit Vincent Paronnaud alias Winshluss (Pinocchio) verfilmt wurde.

Marjane Satrapi: Persepolis - Eine Kindheit im Iran

Persepolis erschien 2011 auch in der Reihe Süddeutsche Zeitung Bibliothek – Graphic Novels.

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Riad Sattouf: Der Araber von morgen

Das 42. französische Festival de la Bande Dessinée d’Angoulême stand 2015 im Schatten des Pariser Anschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo.  Auf dem größten europäischen Comicfestival wurde Riad Sattoufs „Der Araber von morgen“ als bestes Comic-Album des Jahres prämiert. Der aus Syrien stammende Zeichner und Filmregisseur (“Jungs bleiben Jungs“) hat auch für Charlie Hebdo gearbeitet, hier erschien seine Cartoon-Reihe “La Vie secrète des jeunes“.

Riad Sattouf: Der Araber von morgen

„Der Araber von morgen“ ist eine autobiographische Comic-Erzählung und Riad Sattouf schildert hierin seine ersten sechs Lebensjahre. Der Sohn eines in Paris studierenden Syrers und einer Französin  aus der Bretagne, fiel schon früh durch seine langen platinblonden Haare auf und dies ganz besonders in der arabischen Welt. Aus der Sicht eines Kindes erzählt Sattouf von den Jahren 1978 bis 1984, die er in Libyen, Syrien und gelegentlich auch in Frankreich verbrachte. Dabei geht es Sattouf nicht darum, die allgemeingültigen Unterschiede zwischen dem Leben in der westlichen und dem in der arabischen Welt darzustellen.

Riad Sattouf: Der Araber von morgen

Sattoufs Vater war ein an religiösen Dingen kaum interessierter Wanderer zwischen den Welten war, der versuchte es sich dort, wo er gerade war, so angenehm wie möglich einzurichten. Sattouf beschreibt seinen Vater als ein großes Kind, das einen “Glücksbringer-Plastikstier“ mit sich herumschleppt und diesen immer dort aufstellt, wo es sich gerade zu Hause fühlt.

Riad Sattouf: Der Araber von morgenSattoufs französische Mutter hingegen scheint mit großer Leidensfähigkeit gesegnet zu sein, denn sie kommentiert das nicht immer nachvollziehbare Treiben ihres Gatten gelegentlich sarkastisch, doch insgesamt fügt sie sich nahezu nahtlos auch in die unangenehmsten Lebensumstände  ein. Nur einmal, als sie in Libyen als Nachrichtensprecherin arbeitet und in französischer Sprache Gaddafis Drohung verkündet, die USA anzugreifen und Präsident Reagan eigenhändig zu töten, bekommt sie während der Live-Übertragung einen Lachkrampf.

Riad Sattouf: Der Araber von morgen

Episoden wie diese machen den Reiz des Comics aus, der eher beschreibt als urteilt. Sehr reizvoll ist neben der von Kapitel zu Kapitel wechselnden sich zumeist auf einen Farbton beschränkenden Farbgebung vor allem Sattoufs nur scheinbar simpler Zeichenstil, der alles was ihm wichtig ist, mit wenigen Strichen auf den Punkt bringt.

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