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Parts per Million, Mango-Revolution, Wer bleibt

Bettina von Bülow war lange Zeit als Lektorin für andere Verlage tätig, jetzt hat sie einen eigenen aufgemacht. Doch ihre Bücher gibt es nicht im Handel, sondern sie können in Hamburg aus umgerüsteten Zigarettenautomaten (es handelt sich um die “guten rein mechanischen“ Siglaff-Modelle) gezogen (und natürlich übers Internet direkt beim Verlag bezogen) werden. Die kleinen 5 x 8 cm großen Büchlein mit jeweils ungefähr 100 Seiten stecken in Pappboxen, die die Größe einer Zigarettenschachtel haben.

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Bemerkenswert ist, dass unter den ersten neun Titeln des Automatenverlags gleich drei Comics zu finden sind. Wobei es sich zum einen um einen Zweiteiler und zum anderen um ein Büchlein mit Wendecover und gleich zwei (naja) “Graphic Novels“ handelt. Sicher auch im Hinblick darauf, dass einer der ersten beiden Automaten im mehr oder weniger politisch bewegten Schanzenviertel zu finden ist, wird in den beiden Kurzcomics mehr oder weniger zur Weltrevolution aufgerufen. Jon Hagen versucht sich in “Parts per Million“ in einer Gesamtabrechnung mit der westlichen Zivilisation und kommt zum Fazit “Widerstand muss nicht nur friedlich sein“. Das in einem etwas krakeligen Stil gezeichnete und mit seltsam getrennten sich überlappenden und scheinbar gelegentlich zensierten Texten versehende Büchlein, gibt allerdings keine Tipps zum Autoanzünden.

Wer das Buch umdreht bekommt mit Rosemarie Schönighs “Mango-Revolution“ einen graphisch sehr viel interessanteren Comic geboten, wobei ihre in Siebdrucktechnik erstellten Bilder im Kleinstformat und schwarzweiß ganz sicher einiges von ihrer Wirkung verlieren. So etwas wie eine Geschichte erzählt Schönigh auch, denn es geht um zwei junge Leute, die nachts in eine Lagerhalle eindringen und hier allerlei politische Parolen wie “Unter dem Pflaster liegt der Stein“ oder “Macht kaputt was Euch kaputt macht“ absondern und eine kühle Mango essen. Wer mag kann darüber nachdenken…

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Ein großer Coup gelang dem Automatenverlag mit der zweibändigen Veröffentlichung von Ulli Lusts “Wer bleibt“. Die Zeichnerin hat 2010 auf dem Comic Salon in Erlangen für ihr Mammutwerk “Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ sowohl den ICOM-Independent- als auch den Max-und-Moritz-Preis erhalten. Bei “Wer bleibt“ handelt es sich um eine Comicreportage, die im Auftrag des Bauhaus Dessau entstand. Hierfür lebte Ulli Lust zwei Wochen in einer der zahlreichen leerstehenden Wohnungen in der zu DDR-Zeiten begehrten sich jetzt aber rasant entvölkernden Plattenbau-Wohnsiedlung Halle–Neustadt (kurz Hanoi). Dabei setzt sie Gespräche mit bzw. Monologe von Bewohnern in Bilder um. Zu Wort (und Bild) kommen u. a. ein selbstgerechter Geschichtslehrer, der der DDR nachtrauert, ein Arbeiter, der nach der Wende keinen Job mehr fand, sowie ein Mitarbeiter des mitten in der Siedlung gelegenen aber von den Bewohnern ignorierten Bundesarchivs für Stasiunterlagen, aber auch eine ältere Frau die nicht wegziehen mag weil es ihr in Halle-Neustadt gefällt. Ulli Lust vermittelt dem Leser ebenso vielfältig wie lebendig, dass die DDR noch lange nicht verschwunden ist.

Zukünftig möchte der Automatenverlag halbjährlich fünf neue Bücher veröffentlichen. Hoffentlich sind auch weiterhin soviel Comics dabei.


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