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Dirk Kurbjuweit: Der Ausflug

Ich kannte von Dirk Kurbjuweit bisher nur seine durch die Bank sehr lesenswerten Texte für den Spiegel, wie etwa seine Beiträge zur täglichen Online-Bestandaufnahme Die Lage am Morgen. Doch er verfasste auch Sachbücher und zehn Romane. Kurbjuweits Der Ausflug ist eine Art deutscher Backwood-Thriller in der Tradition von James Dickeys Flussfahrt, der erfolgreich von John Boorman als Beim Sterben ist jeder der Erste verfilmt wurde.

Auch bei Kurbjuweit begeben sich vier Städter in die Provinz, um dort Wassersport zu betreiben. Es handelt sich dabei um Amalia, ihren Bruder Bodo, sowie ihre alten Schulfreunde Gero und Josef. Kurbjuweit lässt offen, ob sich die von ihm als seht trostlos beschriebene Gegend, in der das Quartett ein Kanu gemietet haben, in Ostdeutschland befindet. Recht bald wird klar, dass Josef dunkle Hautfarbe hat. In einer Dorfkneipe wird ihm der Besuch der Toiletten verwehrt und das N-Wort ist auch zu hören.

Dass Josef als Reaktion darauf draußen vor der Kneipe vom Heck eines Pick-ups pinkelt, scheint der Auslöser für eine immer weiter eskalierende Welle der Feindseligkeit zu sein. Die Freunde reagieren zunächst verwundert und leicht belustigt. Die anfangs beschworene Solidarität bröckelt jedoch, denn schließlich richtet sich die Aggressionen ja ausschließlich gegen Josef…

Durch interessant in Szene gesetzte Rückblenden verwandelt Kurbjuweit die anfangs recht homogen wirkende Gruppe in vier Individuen mit menschlichen Abgründen. Dabei drückt er kontinuierlich auf die Spannungs-Tube und beweist schlüssig, dass es auch in der bundesdeutschen Realität nicht an Monstern mangelt.

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Juan Moreno: Tausend Zeilen Lüge

Der Spiegel hat dieses Buch in keiner Weise unterstützt, aber – wie Juan Moreno schreibt – auch nicht versucht es zu verhindern. Spiegel-Chefredakteur Steffen Klusmann meint, dass es ihm lieber ist, “es schreibt einer,  der wirklich nah dran war, und nicht irgendein Honk.“ In der Tat war es für das Hamburger Nachrichtenmagazin Glück im Unglück, dass Juan Moreno als zwar freier aber dennoch dem Spiegel stark verbundener Mitarbeiter dem Fälscher Klaas Relotius auf die Schliche kam. Dadurch konnte Der Spiegel das Problem offensiv angehen und ab Ende 2019 so umfassend über den Skandal berichten, dass der Konkurrenz kaum noch neues Material für die eigene Artikel übrigblieb.

Juan Moreno: Tausend Zeilen Lüge

Doch ganz richtig ist dies nicht, denn selbst wer sich seinerzeit intensiv mit der Relotius-Affäre beschäftigt hat, dem beschert dieses hochspannende Buch sehr viele neue Erkenntnisse. Es ist erstaunlich, wie knapp es damals war. Moreno belegt mit dem Abdruck von Schriftwechseln, wie geschickt Relotius seine frei erfundenen Reportagen gegen Einwände verteidigte. Juan Moreno ist sich nicht sicher, ob ohne jene Reportrage Jaegers Grenze, die er gemeinsam mit Relotius schreiben sollte, der Fälscher nicht doch noch sein Ziel erreicht hätte. Dieser Bericht war als seine journalistische Abschiedsvorstellung geplant und Relotius sollte danach in der Spiegel-Hierarchie eine Führungsposition bekleiden, in der er keine weiteren Artikel mehr hätte schreiben müssen.

Juan Moreno: Tausend Zeilen Lüge

Das Kernstück des Buchs ist die spannende Entstehungsgeschichte von Jaegers Grenze. Moreno durfte den kompletten Text der Reportage “mit freundlicher Genehmigung“ des Spiegels veröffentlichen. Der Kontrast kann kaum größer sein. Juan Moreno stand Ende 2019 jeden Tag frühmorgen um “drei, vielleicht vier Uhr“ auf, um eine Flüchtlings-Karawane zu begleiten, die auf die US-Grenze zumarschierte und vor Ort Eindrücke zu sammeln. Klaas Relotius hingegen schien zunächst Schwierigkeiten zu haben, auf US-Seite eine illegale Bürgerwehr zu finden, die in der Reportage als Gegenpol dienen sollte. Doch einmal mehr übertraf er alle Erwartungen, fand einen Haufen Rednecks, der ihn mit starken Sprüchen dazu verhalf, alle Befürchtungen, die bezüglich des geistigen Zustands von Trump-Fans bestanden,  überzuerfüllen. Einmal mehr hat Relotius diese Menschen und ihre Ausagen frei erfunden.

Bereits lange vor der Aufdeckung des Skandals brachte Franziska Augstein, die Tochter des Spiegel-Gründers, das Erfolgskonzept von Klaas Relotius auf den Punkt, als sie begründete, warum sie dessen Texte nicht mochte: „Weil ich beim Lesen das Gefühl hatte, dass ich das alle schon weiss.“ Juan Morenos Buch liest sich spannend wie ein Krimi und ist zugleich eine Analyse dessen, was zurzeit falsch läuft in der deutschen Presselandschaft. 2022 kam Michael Bully Herbigs Verfilmung Tausend Zeilen in die Kinos.

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Markus Feldenkirchen: Die Schulz Story

Kurz nachdem Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten gekürt wurde, fragte der Spiegel-Reporter Markus Feldenkirchen bei ihm an, ob er ihn während des Wahlkampfs begleiten und nach der Bundestagswahl 2017 darüber berichten dürfe. Zur Überraschung von Feldenkirchen und zum Entsetzen seiner Berater ließ sich Schulz nach einiger Bedenkzeit auf das Experiment ein. Dabei hatter er sicher im Hinterkopf, dass daraus eine hautnahe Dokumentation über seinen Weg zum Erfolg werden könnte.

Markus Feldenkirchen: Die Schulz Story

Jetzt ist zwar das genaue Gegenteil der Fall, doch es spricht für Martin Schulz, dass er sich auf die Sache einließ. Nachdem im Oktober 2017 im Spiegel # 40 (diese Ausgabe wird mittlerweile hoch gehandelt) unter der Überschrift „Mannomannomann“ die 17-seitige Reportage von Feldenkirchen erschien, machte sich kurz darauf die BILD-Zeitung auf dieser Grundlage über Schulz lustig, und auch vielen Partei-“Freunden“ gefiel der Text nicht. Doch Schulz hielt den Artikel für einen “treffenden Text, der einfange, was er wegstecken musste und wie er wirklich ist.“

Markus Feldenkirchen: Die Schulz Story

Laut Feldenkirchen meinten manche Leser sogar, dass sie “Schulz, wenn sie den Text vor der Wahl gelesen hätten, wohl gewählt hätten.“ Das dürfte aber eher eine Minderheit sein, denn die Reportage und das auf Feldenkirchens Beobachtungen basierende Buch zeigt einen immer etwas aufgedreht auftretenden Europa-Politiker, der sich in die Bundespolitik verirrt hatte. Weil er scheinbar unkonventionell war, wurde er zum Hoffnungsträger, ja sogar zur Lichtgestalt und mit 100% der Stimmen zum SPD-Vorsitzenden gewählt. Nach einem Wahlkampf voller Pannen, stand die SPD mit 20,5% der Stimmen ziemlich genau dort, wo sie sich bereits vor der Inthronisation von Schulz befunden hatte. Der Mann hat also nichts falsch, aber auch nichts richtig gemacht.

Markus Feldenkirchen: Die Schulz Story

Interessanter als die Psychoanalyse des ohnehin ständig zur Nabelschau neigenden Spitzenkandidaten ist bei Die Schulz Story die Beschreibung des erschreckend dilettantisch durchgeführten Wahlkamps. Immer mehr Berater kommen an Bord, es gibt mehrere große Reden am Tag, das anwesende Publikum ist begeistert vom ach so menschlichen Schulz, dessen Potential als Europa-nsider völlig verschenkt wurde. Die Hochrechnungen werden immer schlechter und nach der Wahlpleite und einer heftigen Absage an die CDU wundert sich Schulz, dass er nicht Außenminister in einer großen Koalition werden darf. Markus Feldenkirchen ist es gelungen seinem Trip mit Schulz nicht nur eine beeindruckende Titelstory abzutrotzen, sondern auch noch ein Buch, das nachdenklich über den Zustand unserer Demokratie macht.

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