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Tausend Zeilen

2019 beschrieb Juan Moreno in Tausend Zeilen Lüge wie er als freier Spiegel-Mitarbeiter seinen Kollegen Klaas Relotius als Fälscher entlarvte. Kernstück des Buchs ist die Entstehungsgeschichte der Spiegel-Reportage Jaegers Grenze. Während Moreno eine Flüchtlings-Karawane begleitete, die auf die US-Grenze zumarschierte, fantasierte sich Relotius filmreife Geschichten über eine illegale Bürgerwehr zusammen, die angeblich in Arizona den Eindringlingen schwerbewaffnet auflauerte.  

Michael Bully Herbig (Der Schuh des Manitu) sah in diesem Buch die ideale Vorlage für einen Film, doch auch nach dessen Fertigstellung ist er sich unsicher, welchem Genre sein Werk zuzurechnen ist. Naheliegend wäre es gewesen, eine knallige Satire zu drehen, wie sie Helmut Dietl 1992 mit Schtonk! so großartig über den Stern-Skandal mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern drehte. Doch in einem Spiegel-Interview bezeichnet Herbig Schtonk! als einen Film, den man “heute so nicht mehr machen kann“, vielleicht auch, weil er die Hauptrolle in Dietls Mediensatire Zettl spielte, die bereits in ihrem Entstehungsjahr 2012 nicht auf der Höhe der Zeit war.

Bullys Tausend Zeilen ist in erster Linie ein Film über den vierfachen Familienvater Juan Romero, dessen Ehe durch seinen journalistischen Eifer in eine Krise gerät. Elyas M’Barek ist als erstaunlich zotteliger Hauptdarsteller eine sehr gute Wahl und auch Jonas Nay (Deutschland 83) überzeugt als aalglatter Fake-News-Fabrikant Lars Bogenius. Garniert wird das Beziehungsdrama durch Michael Ostrowski als wirklich komischer österreichischer Sidekick-Fotograf und allerlei originelle inszenatorische Einfälle.

So friert schon mal das Bild bei einer Szene aus der Redaktion des Die Chronik, (so heißt Der Spiegel im Bullyversum) ein und Juan Romero schlurft im Bademantel durchs Bild, um zu erklären, was gerade abgeht. Doch solche Elemente werden nur sehr sporadisch eingesetzt und viele Nebenfiguren bleiben eher blass. Trotz bildgewaltiger Inszenierung entsteht der Eindruck, hier wurde die Chance vertan, die Steilvorlage der Spiegel-Blamage in einen zeitlosen Klassiker wie Diels Schtonk! zu verwandeln.  

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Juan Moreno: Tausend Zeilen Lüge

Der Spiegel hat dieses Buch in keiner Weise unterstützt, aber – wie Juan Moreno schreibt – auch nicht versucht es zu verhindern. Spiegel-Chefredakteur Steffen Klusmann meint, dass es ihm lieber ist, “es schreibt einer,  der wirklich nah dran war, und nicht irgendein Honk.“ In der Tat war es für das Hamburger Nachrichtenmagazin Glück im Unglück, dass Juan Moreno als zwar freier aber dennoch dem Spiegel stark verbundener Mitarbeiter dem Fälscher Klaas Relotius auf die Schliche kam. Dadurch konnte Der Spiegel das Problem offensiv angehen und ab Ende 2019 so umfassend über den Skandal berichten, dass der Konkurrenz kaum noch neues Material für die eigene Artikel übrigblieb.

Juan Moreno: Tausend Zeilen Lüge

Doch ganz richtig ist dies nicht, denn selbst wer sich seinerzeit intensiv mit der Relotius-Affäre beschäftigt hat, dem beschert dieses hochspannende Buch sehr viele neue Erkenntnisse. Es ist erstaunlich, wie knapp es damals war. Moreno belegt mit dem Abdruck von Schriftwechseln, wie geschickt Relotius seine frei erfundenen Reportagen gegen Einwände verteidigte. Juan Moreno ist sich nicht sicher, ob ohne jene Reportrage Jaegers Grenze, die er gemeinsam mit Relotius schreiben sollte, der Fälscher nicht doch noch sein Ziel erreicht hätte. Dieser Bericht war als seine journalistische Abschiedsvorstellung geplant und Relotius sollte danach in der Spiegel-Hierarchie eine Führungsposition bekleiden, in der er keine weiteren Artikel mehr hätte schreiben müssen.

Juan Moreno: Tausend Zeilen Lüge

Das Kernstück des Buchs ist die spannende Entstehungsgeschichte von Jaegers Grenze. Moreno durfte den kompletten Text der Reportage “mit freundlicher Genehmigung“ des Spiegels veröffentlichen. Der Kontrast kann kaum größer sein. Juan Moreno stand Ende 2019 jeden Tag frühmorgen um “drei, vielleicht vier Uhr“ auf, um eine Flüchtlings-Karawane zu begleiten, die auf die US-Grenze zumarschierte und vor Ort Eindrücke zu sammeln. Klaas Relotius hingegen schien zunächst Schwierigkeiten zu haben, auf US-Seite eine illegale Bürgerwehr zu finden, die in der Reportage als Gegenpol dienen sollte. Doch einmal mehr übertraf er alle Erwartungen, fand einen Haufen Rednecks, der ihn mit starken Sprüchen dazu verhalf, alle Befürchtungen, die bezüglich des geistigen Zustands von Trump-Fans bestanden,  überzuerfüllen. Einmal mehr hat Relotius diese Menschen und ihre Ausagen frei erfunden.

Bereits lange vor der Aufdeckung des Skandals brachte Franziska Augstein, die Tochter des Spiegel-Gründers, das Erfolgskonzept von Klaas Relotius auf den Punkt, als sie begründete, warum sie dessen Texte nicht mochte: „Weil ich beim Lesen das Gefühl hatte, dass ich das alle schon weiss.“ Juan Morenos Buch liest sich spannend wie ein Krimi und ist zugleich eine Analyse dessen, was zurzeit falsch läuft in der deutschen Presselandschaft. 2022 kam Michael Bully Herbigs Verfilmung Tausend Zeilen in die Kinos.

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Kittyhawk: Lebenslanges Lernen

Steckt ‘n Mann den Kopf in die Waschmaschine, meint seine Frau dazu: “Ich habe Dir doch schon hunderttausend Mal gesagt, wie ein Gasherd aussieht.“ So ein Witz ist schnell erzählt, sieht passend dazu aus der Feder der Wahlberlinerin Christiane Lokar alias Kittyhawk auch schnell gezeichnet aus (auf dem zweiten Blick sind jedoch noch ein paar schmückende Details wie eine gut ausgestattete Küche im Hintergrund oder eine recht stilvolle Farbgebung zu entdecken).

Kittyhawk: Lebenslanges Lernen

Wer nun nach Ansicht dieses Titelbildes einen Haufen männerfeindlicher Cartoons erwartet, kann gar nicht falscher liegen. Kittyhawk hat auch Kracher im Angebot, die auf jedem Herrenabend bestens zünden dürften. So sagt ‘n Mann zur gerade bohnernden Putzfrau: “Guten Tag, sind Sie Fräulein Doreen, das feuchte Luder?“ (die Haustür mit Herzchen und Schild “Bei Ekstase klingeln“ rundet die Sache noch etwas ab), oder der Ehemann, dessen Frau gerade eine Schönheitsoperation an der Brust machen ließ, hat sich “auch gleich dementsprechend die Hände vergrößern lassen.

Kittyhawk: Lebenslanges Lernen

Wenn Martin Sonneborn, der ehemalige Chef von TITANIC im Vorwort zu diesem Buch schreibt “Über die allermeisten Gags musste ich sehr lachen, bei einer Handvoll sogar, wenn ich sie zum dritten oder vieren Mal ansehe“, dann kann dem Mann nur uneingeschränkt zugestimmt werden. So sah es auch der Spiegel, der Kittyhawk allwöchentlich das politische Geschehen in einem schrägen Cartoon auf den Punkt bringen lässt.

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