Von 2010 bis 2012 veröffentlichte Ehapa in einer fünfbändigen Gesamtausgabe alle von Joseph Gillain alias Jijé gezeichneten Jerry-Spring-Geschichten. Der Einfluss dieser 1954 im Le Journal de Spirou gestarteten Western-Serie auf die europäische Comic-Landschaft kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Jijé war als Zeichner zur Stelle als im Zweiten Weltkrieg der Spirou-Schöpfer Rob-Vel in Kriegsgefangenschaft geriet und nach der Besetzung Belgiens US-Comics wie Superman oder der Western Red Ryder nicht mehr im Spirou-Magazin erscheinen durften. Jijé sprang immer wieder bei der Serie Spirou als Zeichner ein und kreierte mit Valhardieine eigene Abenteuer-Reihe.
Durch den Zwang zur Eigenproduktion stand der belgische Comic in der Nachkriegszeit auf eigenen Füßen. Für einen weiteren wichtigen Impuls sorgte eine Reise durch die USA und Mexiko, zu der Jijé 1948 zusammen mit seinen jungen Kollegen André Franquin (Gaston) und Morris (Lucky Luke) aufbrach. Dort bekamen die Zeichner einen authentischen Eindruck vom immer noch recht Wilden Westen, der sich auf unterschiedliche Weise in ihren Werken niederschlug.
Jijé konnte bei Jerry Spring auf seine vor Ort in Nordamerika angefertigten Skizzen zurückgreifen. Doch auch Einflüsse von US-Zeitungscomics, wie das markante schwarzweiße Artwork von Milton Caniff bei Steve Canyon schlugen sich nieder. Anfangs zeichnete Jijé Jerry Spring nicht, wie in Frankobelgien üblich, mit vier Panel-Reihen pro Seite, sondern ließ sich von den US-Comicheften zu einem großzügigeren Layout inspirieren.
Der erste Band einer beim All Verlag gestarteten neuen Gesamtausgabe von Jerry Spring, enthält als Beigabe eine sechsseitige Western-Romance-Story, die Jijé 1950 für den US-Verlag DC zeichnete. Die Ehapa-Gesamtausgabe von Jerry Spring präsentierte die Serie in Schwarzweiß, was durchaus Sinn macht, da Jije das Kolorieren langweilte und er es bereits nach wenigen Alben nicht mehr selber ausführte.
Der All Verlag setzt hingegen auf Farbe und startet seine Veröffentlichung mit dem ersten Album Golden Creek. In der Reihe kommt auch das 22. und letzte Jerry-Spring-Abenteuer Der Zorn der Apachen zum Abdruck, das zehn Jahre nach dem Tode von Jijé erschienen ist und 1990 von Franz (Lester Cockney) gezeichnet wurde.
Die Ausgaben des All Verlags erscheinen in einem etwas größeren Format als die Ehapa-Edition. Abgesehen vom glänzenden Papier wurde sich dabei anscheinen an der Blueberry – Collector’s Edition orientiert. Dies macht durchaus Sinn, denn der Blueberry-Zeichner Jean Giraud alias Moebius lernte sein Western-Handwerk bei Jijé. Dieser wiederum zeichnete das Cover zum ersten Blueberry-Album Fort Navajo.
“Ich habe diesen Beruf nie so richtig ernst genommen, ich habe ihn nie als meinen Lebenszweck betrachtet, sondern eher als eines der angenehmsten Mittel, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen.“ Dieses Zitat stammt vom Belgier Joseph Gillain alias Jijé (Jerry Spring), dessen erste Spirou-Seite am 24. Oktober 1940 veröffentlicht wurde.
Da der Franzose Robert Veller, der Spirou 1938 erfunden hatte und unter dem Pseudonym Rob-Vel zeichnete, in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war, brachte Jijé dessen laufende Comic-Geschichte zu einem raschen Abschluss. Er sprang bis März 1941 ein und hatte keinerlei Probleme damit, den Titelhelden vom Le Journal de Spirou wieder seinem Schöpfer zu überlassen.
Erste Spirou-Seite von Jijé
Jijé widmete sich anderen Projekten, wie den Abenteuern des Detektivs Jean Valhardi oder der Comic-Biografie des Priesters Don Bosco, bevor er wieder beim Pagen landete. Nachdem der Dupuis Verlag Rob-Vel 1943 die Rechte an Spirou abgekauft hatte, übernahm Jijé die Serie erneut. Der Jazz-Fan bevorzugte dabei einen lockeren und spontanen Stil, der ihm ein rasches Arbeiten ermöglichte. Außerdem ließ er in seinen Spirou-Comics erstmals Fantasio auftreten.
Es ist sehr erfreulich, dass sich der Carlsen Verlag nicht darauf beschränkt, in acht fachkundig kommentierten Hardcover-Bänden sämtliche Spirou-Comics von André Franquin zu veröffentlichen und die Gesamtausgabe mit den nachfolgenden Geschichten von Jean-Claude Fournier, Nic & Cauvin sowie Tome & Janry fortzuführen.
Nachdem zuvor bereits alle Spirou-Comics von Rob-Vel veröffentlicht wurden, präsentiert Carlsen in einem zweiten Classic-Band das von Jijé gezeichnete Material, von dem die Hälfte zuvor noch nicht auf Deutsch veröffentlicht wurde. Bis 1951 brachte Jijé mit circa 150 Seiten sehr viel weniger Comic-Geschichten als sein Vorgänger oder die meisten seiner Nachfolger zu Papier.
Doch über die Spirou-Comics hinaus, gestaltete Jijé auch zahlreiche Cover, Illustrationen, Werbematerialien und Merchandise-Artikel, die ebenfalls in diesem Band gewürdigt werden. Hinzu kommt noch, dass Jijé außerdem André Franquin sowie dem Lucky-Luke-Schöpfer Morris als Mentor diente und auch dadurch maßgeblich zur Erfolgsgeschichte des (franko-) belgischen Comics beigetragen hat.
Im 1986 erschienenen Album Der Weg in die Freiheitbrachten Jean-Michel Charlier und Jean Giraud einige Handlungsstränge zum Abschluss, die sich schon sehr lange durch ihre epische Western-Serie gezogen haben. Eine Tür für eine Fortsetzung ließen sie dennoch offen, denn am Ende des Albums brach Mike S. Blueberry nach Sacramento auf, um eine Freundin zu ehelichen.
Doch die Hochzeit findet dann im kleinen Städtchen Tacoma in New Mexiko statt, und es ist nicht Blueberry, der vor dem Traualtar steht. Dieser entführt kurzentschlossen Chihuahua Pearl und verbringt mit der Braut in einer Felsenhöhle eine grade noch jugendfrei in Szene gesetzte Liebesnacht.
Dieser turbulente Auftakt stammt noch vom 1989 verstorbenen Autor Charlier und Zeichner Giraud brachte das Album Arizona Love in dessen Sinne zu Ende.
1991 erschien eine limitierte und signierte Luxusausgabe
Danach entschloss sich der Zeichner auch das Texten zu übernehmen, was zunächst keine gute Idee zu sein schien. Girauds Album Mister Blueberry startet einen gleichnamigen Zyklus, der auf fünf Bände anwachsen sollte. Giraud bevölkerte seine Geschichte mit einem großen Ensemble von neuen Charakteren, die prall mit Nichtigkeiten gefüllte Sprechblasen absondern. Der Titelheld steht nicht gerade im Mittelpunkt der Geschichte und wird nur am Poker-Tisch gesichtet, bevor er am Ende des Albums hinterrücks niedergeschossen wird,
Obwohl Blueberry die Fortsetzung Schatten über Tombstone im Krankenbett verbringt, gelang Giraud eine spannende Erzählung, die neugierig auf den weiteren Verlauf der Serie macht. So treten in Nebenrollen Wyatt Earp und Doc Holliday auf, denn es wird auch die Vorgeschichte des legendären Schusswechsels am OK Corral erzählt.
Spannender noch jedoch eine Story, die der bettlägerige Blueberry dem Journalisten John Meredith Campbell erzählt. In Rückblenden wird eine Episode aus Blueberry lange zurückliegender Militärzeit gezeigt, die noch vor dessen ersten Comic-Abenteuer Fort Navajo stattfand und den Leutnant als unberechenbaren Trinker ohne Verantwortungsbewusstsein zeigt. Campbell plant die Geschichte so umzuarbeiten, dass der mittlerweile legendäre Blueberry zum makellosen Helden wird.
Es ist gewiss kein Zufall, dass Campbell die selben Initialen wie Jean-Michel Charlier hat. Es wäre interessant gewesen, wenn Jean Giraud auch die “tatsächlichen“ Ereignisse des ersten Albums Fort Navajo in seinem ausgereifteren (weniger an seinem Mentor Jijé orientierten) Stil zu Papier gebracht hätte. Doch auch so überzeugt die Geschichte über Blueberrys erste Begegnung mit einer Wild-West-Legende, die im nächsten Album Geronimo der Apache fortgesetzt wurde und die Giraud 2007 auch zu seinem letzten Blueberry-Comic Apachen umarbeitete.
Three Black Birds
Egmonts Collector’s Edition präsentiert alle von Jean Giraud gezeichneten Blueberry-Alben. Der achte und vorletzte Band enthält neben Arizona Love und den ersten drei Bänden des Mister-Blueberry-Zyklus auch wieder hochinteressantes Bonusmaterial. Zu sehen sind etwa Auszüge aus der aus 28 aquarellierten Panels bestehenden Blueberry-Kurzgeschichte Three Black Birds, die Girauds Erben leider nicht zum Komplettabdruck freigegeben haben.
Es ist sehr fraglich, ob sich heute noch jemand für die bereits 1938 gestartete belgische Serie Spirou interessieren würde, wenn nicht ein knappes Jahrzehnt später André Franquin das Steuer übernommen hätte. Der geniale Zeichner bereicherte das sehr überschaubare Ensemble um Figuren wie den Grafen von Rummelsdorf, das Marsupilami oder den Zyklotrop, die noch heute ein Eigenleben führen.
Dem Carlsen Verlag kann gar nicht genug dafür gedankt werden, dass er sich nicht darauf beschränkt hat, in acht fundiert kommentierten Hardcover-Bänden sämtliche Spirou-Comics von Franquin zu veröffentlichen, sondern seine Gesamtausgabe auch noch mit den nachfolgenden von Jean-Claude Fournier, Nic & Cauvin sowie Tome & Janry geschaffenen Beiträgen fortführt.
Doch damit nicht genug, denn jetzt folgen auch noch die Anfänge der Serie, die zugleich auch die Entstehung von LeJournal de Spirou dokumentieren. Über den Namen der Titelfigur dieses immer noch wöchentlich in Belgien und Frankreich erscheinenden Comicmagazins wurde im Mai 1937 im Kreise der Familie des Verlegers Jean Dupuis entschieden. “Spirou“ bedeutet im wallonischen Dialekt nicht nur “Eichhörnchen“, sondern so werden auch besonders aufgeweckte Jungen bezeichnet.
Jetzt musste noch ein Zeichner für den bislang nur namentlich bekannten Knaben gefunden werden, was nicht einfach war, denn abgesehen von Hergé gab es seinerzeit kaum belgische Comic-Künstler. Dupuis‘ Sohn Charles gefiel in der französischen Illustrierte Le Journal de Toto die Titelfigur, ein frecher Schiffsjunge. Diesen brachte der Franzose Robert Veller zu Papier, der beim US-Zeichner Martin Branner (Winnie Winkle) in die Lehre gegangen war.
Von Veller stammte die Idee der Pagen-Uniform von Spirou. Er hatte in den USA gelernt, dass erfolgreiche Figuren wie Micky Maus oder Popeye ein wiedererkennbares Kostüm tragen sollten. Veller, der auf Transatlantik-Dampfern als Oberkellner, Steward und Vergnügungswart tätig war, fertigte von den an Bord tätigen quirligen Kinderpagen viele dekorative Zeichnungen für Speisekarten oder Plakate an. Dadurch hatte er bereits eine ziemlich genaue Vorstellung von seinem Spirou.
Am 21. April 1938 erschien die erste Ausgabe von Le Journal de Spirou in der auch die Serie Tif et Tondy (Harry und Platte) debütierte. Veller benutze hier erstmals sein Pseudonym Rob-Vel. Von ihm stammt auch das den Helden begleitende Eichhörnchen Pips. Teilweise mit Hilfe seiner Frau Blanche und des Belgiers Luc Lafnet führte Rob-Vel die Serie fort, bis er 1943 die Rechte an der Figur an Dupuis verkaufte.
Carlsens Classic-Band 1 präsentiert auf 312 Seite alle Spirou-Seiten von Rob-Vel, inklusive einer kurzen Geschichte von 1970. Enthalten ist auch eine 40-seitige reich illustrierte und hochinteressante Einführung in das Spirou-Frühwerk.
Hier ist auch zu erfahren, dass Joseph Gillain alias Jijé (Jerry Spring) für den verwundeten Rob-Vel einsprang, als dieser in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war. Jijé führte die Serie anschließend im Alleingang fort. Doch das ist eine andere Geschichte, die in einem zweiten Classic-Banderzählt wird…
Als er Ende 1946 im Spirou Almanach erstmals auftrat, sah er sich noch gar nicht ähnlich. Auf dem Rücken von Jolly Jumper sitzend, trug der Cowboy zwar schon einen weißen Hut und ein rotes Halstuch, doch sein gelbes Hemd war gestreift. Außerdem fehlte noch die schwarze Weste, um Lucky Luke mit allen Farben der belgischen Flagge zu schmücken. Die 20 Seiten des erste Lucky-Luke-Comic sind in Windeseile verschlungen. Arizona 1880 biete rasante, wahnwitzige Cartoon–Action, irgendwo zwischen früher Micky Maus und Tex Avery.
Der 1923 in der flämische Region Belgiens geborene Maurice De Bevere war schon als kleiner Junge vom Kino und vom Zeichentrickfilm begeistert. Die florierende väterliche Tonpfeifen-Fabrik zu übernehmen, war für ihn nie eine Option. Stattdessen arbeitete der junge Mann nach dem Krieg zunächst in Brüssel als Animator. Doch als US-Trickfilme den Markt überschwemmten, war das belgisch Animations-Studio nicht mehr konkurrenzfähig und schloss seine Pforten.
Maurice nannte sich Morris und begann Western-Comics zu zeichnen. 1948 brach er gemeinsam mit zwei mittlerweile ebenfalls legendären Meistern des frankobelgischen Comics zu einem erinnerungswürdigen Trip auf.
Erstveröffentlichung 1946
Der seinerzeit die Traditionsserie Spirouzeichnende Joseph Gillain alias Jijé (Jerry Spring) fuhr mit seiner fünfköpfigen Familie, sowie mit seinen Schülern Morris und André Franquin (Gaston), über den Atlantik. Der Autor Yann und der Zeichner Olivier Schwartz erzählten einige Jahrzehnte später in ihrem amüsanten Comic Gringos Locos von dieser Reise.
Gesamtausgabe 2020
Die Eindrücke, die Morris in den USA und in Mexiko sammelte, flossen direkt in seine Lucky-Luke-Geschichten ein. Nachdem sein Reverenz-Material zuvor Kino-Aushangfotos waren, zeichnete Morris seine Comicseiten nun vor Ort im Wilden Westen. Anschließend sendete er die Originale der Comic-Seiten per Post nach Belgien, wo sie im Magazin Spirou veröffentlicht wurden. Aus der anfangs auf visuelle Gags setzenden Serie wurde nach und nach eine Satire auf Western-Filme, die Morris in authentischen Kulissen in Szene setzte.
Der erste Band von Egmonts neuer Gesamtausgabe enthält die zwischen 1946 und 1949 entstandenen Lucky-Luke-Abenteuer. Zusätzlich gibt es 50 Seiten mit reich bebilderten Sekundärmaterial. Dadurch ist es möglich, dabei zu sein, bei der Entstehung jenes Cowboys, der auch heute noch schneller schießt als sein Schatten.
Als Abschluss enthält das Buch die Geschichte Lucky Luke gegen Cigarette Pete, die damit endet, dass unser einsam in die Ferne reitender Held erstmals das Lied vom “Poor Lonesome Cowboy“ singt. Zuvor griff Lucky Luke im letzten Panel eines Abenteuers auch schon einmal zur Mundharmonika…
Am 29. Oktober 1959 erschien die erste Ausgabe des französischen Magazins Pilote, das der belgischen Konkurrenz Tintin und Spirou Paroli bieten wollte (und sollte). Hierin debütierte Asterix und gleichzeitig startete der meisterliche Zeichner Albert Uderzo auch das erste Abenteuer der tollkühnen französischen Militärpiloten Tanguy und Laverdure.
Uderzo nutzte seine einzigartige Zeichenkunst nicht nur zur detailgetreuen Wiedergabe von Kriegsgerät, wie dem wirklich recht elegant aussehenden Jagdflugzeug Mirage III, sondern auch immer wieder für wirklich lustige Slapstick-Einlagen. Während Michel Tanguy als gradliniger Held eine gewisse Ähnlichkeit mit Falbalas Freund Tragicomix aus Asterix hat, ist der dürre Ernest Laverdure das Ebenbild von Albert Uderzo.
Dieser lässt kein Fettnäpfchen aus und ist bei jeder attraktiven Frau sofort entflammt, also das ideale Opfer für Spioninnen. Die immer wieder die Schlagkraft der französischen Luftstreitkräfte betonenden Abenteuer dachte sich der Belgier Jean-Michel Charlier aus, dessen Meisterwerk Blueberry auch in Pilote erscheinen sollte.
1966 wurde Uderzo die Doppelbelastung durch Asterix und Tanguy & Laverdure zu viel. Er übergab die Flieger an Jijé und bis heute haben zahlreiche weitere Teams die Serie am Leben erhalten. Uderzo blieb jedoch dem Flieger-Comic verbunden und platzierte auf seinem Anwesen in Yelines eine echte Mirage III.
Bei der Egmont Comic Collection startete 2009 eine “Gesamtausgabe“ von Tanguy und Laverdure, die allerdings nur die von Uderzo gezeichneten Abenteuer enthält und bereits hoch gehandelt wird, da die neun Bände schon lange vergriffen sind. Als eine Art Nachschlag hierzu erscheint zum 60. Geburtstag der Fliegerserie ebenfalls bei Egmont ein Hommage-Buch.
Wer nun hofft, die frankobelgische Comic-Elite würde dem Klassiker mit sanftem Spott in lässig hingehauenen Bildern ehren, dürfte etwas enttäuscht sein. Die sechs Tribute-Comics in diesem Buch sind alle im hyperrealistischen, aber meist etwas sterilen Stil der Uderzo-Nachfolger gehalten, bzw. stammen im Falle von Yvan Fernandez, Matthieu Durant und Sébastien Philippe auch gleich direkt von diesen.
Durchaus im Sinne der Vorlage sind die in Nostalgie schwelgenden Geschichten vom Stile “seriös, aber mit einem Schmunzeln“, gerne auch über protestierende Studenten, die sich 1965 für fortschrittlich hielten. Erzählt wird dabei nicht nur über die Väter der Helden, sondern auch gleich zweimal vom großen Charles de Gaulle, der seine Piloten zum Eskortieren von britischem Gebäck einsetzt oder Laverdures Tollpatschigkeit ausnutzt, um dem US-Präsidenten Lyndon B. Johnson einen kleinen Streich, unter dem Motto “Ich weiß, dass Du uns ausspionierst“, zu spielen.
Die Begleittexte des Buchs zeigen sich stärker an Details über Militär-Flugzeuge als an der Comic-Geschichte interessiert. Immerhin fanden alle Pilote-Titelbilder mit Tanguy-Bezug den Weg in dieses Buch. Sehr erfreulich ist auch, dass der sehr lustige Zweiseiter Der Aprilscherz enthalten ist. In diesem von René Goscinny geschriebenen und von Uderzo gezeichneten Comic, der 1961 in Pilote erschien, treten neben den Fliegern auch andere bekannte Figuren wie der Rote Kosar oder Asterix und Obelix auf!
Jean Giraud starb im März 2012, doch sein unglaublich vielfältiges Comic-Universum lebt in zahlreichen opulenten Neuausgaben weiter. Während Egmond gerade seinen Western-Klassiker Blueberry in einer Collector’s Edition neu auflegt, feierte der Splitter Verlag in einem Prachtband jene abgefahrenen Comics, die Giraud im Magazin Metal Hurlant unter dem Pseudonym Moebius veröffentlichte.
Doch wie wurde der Jean Giraud, der sich eine Meisterschaft im Zeichnen von galoppierenden Pferden und Prärielandschaften angeeignet hatte, zum ebenso souveränen Schöpfer von seltsamen Welten, deren volle Bedeutung sich nur ihm selbst zu erschließen schien? Ein interessant zusammengestellter Band des Splitter Verlags versucht zu dokumentieren, wie Giraud zu Moebius wurde.
Im Vorwort beschreibt Girauds Lehrmeistes Joseph Gillian alias Jijé (Jerry Spring) dieses Phänomen recht plastisch: “Ich für meinen Teil hätte noch eine gewisse ästhetischhermetisch-philosophisch-esoterische Orientierung zu bedauern, die an zeichnerischer Kraft – fast hätte ich gesagt, an Virilität – einzubüßen scheint, was sie möglicherweise an Intellektualität gewinnt… Kann ich mir jedenfalls denken. Aber ich bin nur ein altmodischer Knacker, und wie Giraud spontan (aber niemals grundlos) sagte: »Sie (er siezte mich, der Lump!) sind zu normal, um es zu verstehen.«
Eröffnet wird der im Buch enthaltene Comic-Reigen mit den drei Western-Kurzgeschichten um Frank und Jeremy von 1956, die Giraud, wie viele seiner frühen Arbeiten in einem von André Franquin und Morris beeinflussten Funnystil zeichnete. Doch schon in den frühen 60er-Jahren wendete er sich den Abenteuer-Genre zu und eiferte Jijé nach. Sein Pseudonym Moebius wählte er auch, weil seine Signatur Gir zu sehr der von Jijé ähnelte.
Giraud beschränkte sich jedoch nicht auf Westerngeschichten, sondern erzählte auch von ehemaligen Galeerensträflingen, Glücksrittern im brasilianischen Dschungel oder das Leben von Madame Curie.
Einige der über zwanzig in diesem Band enthaltenen Comics wurden bereits im von österreichischen Fachmagazin Comic Forum herausgegebenen Sammelband Giraud: Das Frühwerk veröffentlicht, dort allerdings meist in Schwarzweiß.
Zum Abdruck kommen auch Arbeiten die Giraud von 1970 bis 1979 für die Magazine Tintin und Pilote in einem immer stärkeren Maße als Moebius zeichnete, darunter die beeindruckend in Szene gesetzte zweiseitige Story Musik rund um die Uhr, sowie ein Fotocomic, in dem René Goscinny einen Auftritt hatte.
Abgerundet wird der Band durch das fundierte 17-seitige Nachwort “Die hermetische Garage des Gir“ vom Science-Fiction-Autor und Comic-Experten Claude Ecken. Dieser beschreibt detailreich die Jugendjahre von Giraud und kommt – genau wie Jijé im Vorwort – zum Schluss, dass dieser sein Talent nicht durch Beobachtung der Wirklichkeit oder dem Zeichnen nach der Natur entwickelte, sondern durch intensive Beschäftigung mit Comics und Filmen jeglicher Art. Alles was ihn beeindruckte übernahm, variierte und kombinierte er zu einem unvergleichlichen Comic-Kosmos. Dieser Band zeigt, wieviel es in dieser faszinierenden Welt noch zu entdecken gibt.
Es war eine große Überraschung als zu erfahren war, dass Joann Sfar (Die Katze des Rabbiners, Gainsbourg) und Christophe Blain (Isaak der Pirat) eine Hommage an den Westernklassiker Blueberryrealisieren werden. Bisher sind beide eher nicht wie Jean-Michel Charlier durch spannende Abenteuergeschichten oder durch einen realistischen (aber dennoch die Wirklichkeit interpretierenden) Zeichenstil wie Jean Giraud alias Moebius aufgefallen.
Doch es war eine nicht minder große Überraschung, als das für ebenso rotzige Bilder wie Geschichten bekannte Duo einen erstaunlich gradlinig in Szene gesetzten Western-Comic ablieferte. Das Trauma der Apachen spielt kurz nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg, also zur Zeit als Mike Blueberry seinen Dienst in Fort Navajo antrat und seine ersten Abenteuer erlebte.
Christophe Blain, der die Geschichte schrieb und gemeinsam mit Joann Sfar zeichnete, spart ähnlich wie Charlier nicht mit Anspielungen auf Klassiker des Western-Kinos. So trägt ein farbiger Soldat namens Woody unverkennbar die Gesichtszüge von Woody Strode (Spiel mir das Lied vom Tod) und der Name von Blueberrys Vorgesetzten Colonel Benjamin Tyreen wurde aus Sam Peckinpahs Sierra Carriba (Major Dundee) übernommen.
Passend zu diesen traditionsbewussten Bestandteilen lässt der von Blain und Sfar gewählte (bzw. angestrebte) Zeichenstil an den sehr jungen Jean Giraud denken, der vor Blueberry Joseph Gillian alias Jijé bei der Western-Serie Jerry Springassistierte. Die Geschichte über eine sich hochschaukelnde Spirale von Gewalttaten, hingegen mutet frisch und modern an.
Drei Jugendliche, die einer inmitten des Indianergebietes hausenden religiösen Sekte angehören, ermorden zwei Squaws. Dabei handelt es sich um Frau und Tochter des gefürchteten Kriegers Amertume, der Vergeltung schwört. Blueberry versucht zu vermitteln, hat jedoch auch noch eigene Probleme mit seinem trunksüchtigen Kumpel Jimmy McClure und der attraktiven Ruth. Er hadert damit die Gefühle, die die Ehefrau seines Vorgesetzten für ihn empfindet, zu erwidern…
Einziges Manko ist, dass die Geschichte in diesem Album nicht zu Ende erzählt wurde. Eine mit etwas weniger Charakteren bevölkerte Handlung hätte nach 62 Comic-Seiten problemlos ein Ende finden können. Doch auch Jean-Michel Charlier erzählte seine Geschichten meist in aus mehreren Alben bestehenden Zyklen. Da auch in Frankreich der Abschlussband noch nicht in Sicht ist, heißt es nun also abwarten und vielleicht die Blueberry Collector´s Edition oder Das Trauma der Apachen als Luxusausgabe zu lesen.
Weiter geht es mit der der Collector’s Edition von Blueberry. Nicht optimal ist nach wie vor das gewählte matte Papier. In der alten Ausgabe, den Blueberry-Chroniken, gab es leuchtendere Farbe und besser zu erkennenden Konturen der Zeichnungen. In zwei der drei in diesem Band enthaltenden Comic-Alben kam eine andere Kolorierung zum Abdruck, die “bunter“ doch insgesamt weder schlechter noch besser ist. Auch das geänderte Lettering (bei identischer Übersetzung ist weder Fort- noch Rückschritt). Hier wäre mehr drin gewesen.
Doch meiner Meinung nach überwiegen die Vorteile. Die Collector’s Edition präsentiert die Comics in einem geringfügig größeren Format, aber mit einem sehr viel interessanteren Bonusmaterial, als dies in den Blueberry-Chroniken der Fall war. Die begleitenden Texte dokumentieren die Entstehungsgeschichte der Comics und machen dadurch die Lektüre zu einem noch intensiveren Erlebnis.
Kolorierung der Collector’s Edition
Der Comic-Inhalt entspricht Band 3 der Blueberry-Chroniken. Zum Abdruck kommt mit Das Halbblut und Die Spur der Navajos der Abschluss des fünfbändigen Epos Fort Navajo. Dem Autor Jean-Michel Charlier gelang hier ein spannender Western im Stil von John Fords Kavallerie-Trilogie mit sehr viel Sympathien für die Indianer. Die sich eher an erwachsene Leser richtende Geschichte ist auch eine gute Einführung vom eigenwilligen (Anti-?) Helden Mike Blueberry.
Kolorierung 2006 in Blueberry Chroniken 3
Künstlerisch ist bemerkenswert, dass sich Jean Giraud Anfang 1965 beim Zeichnen von Das Halbblut eine Auszeit gönnte, um sich in Mexiko vom Stress zu erholen, der auch damit zusammenhing, dass die Texte von Charlier oft erst sehr kurzfristig fertig wurden. Als Ersatz sprang Girauds Lehrmeistes Joseph Gillian alias Jijé (Jerry Spring) ein, der die Seiten auch signierte. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die beiden in diesem Band abgedruckten auf dem Postweg verloren gegangenen Seiten von Jijé, die völlig anders aussehen als die neugezeichneten Varianten davon, die in Pilote und den Alben zum Abdruck kamen.
Den Abschluss des Bandes bildet das 1966 entstandene Album Der Sheriff, das bemerkenswert weil untypisch für die Serie ist. Zum einen wird hier ein klassischer in einer Kleinstadt spielender Western, irgendwo zwischen High Noon und Rio Bravo, erzählt und zum anderen auch noch eine in sich abschlossene Geschichte, die nicht Teil eines Zyklus ist.
In diesem Zusammenhang gefällt auch der von Volker Hamann (Reddition) zusammengestellte Anhang über die deutsche Veröffentlichungsgeschichte von Blueberry. Hier geht es um die frühen 70er-Jahre, als die Western-Serie im Magazin ZACK erschien. Dort kam Der Sheriff im Gegensatz zur Serie um Fort Navajo nicht zum Abdruck.
Stattdessen erschien die Geschichte als Band 4 der Reihe ZACK Comic Box und war das erste deutsche Blueberry-Album. Während der gewählte Titel Der Mann mit dem Silberstern eine originalgetreuere Übersetzung als Der Sheriff war, wurde dem deutschen Leser Girauds prachtvolles Titelbildgemälde (das auch diesen Band der Collector’s Edition ziert) vorenthalten und stattdessen ließ man – wahrscheinlich von Dieter Kalenbach (Turi & Tolk) – das identische Motiv noch einmal unspektakulärer neu zeichnen.
Ab 2006 hatte Egmont mit Die Blueberry Chroniken bereits eine mittlerweile auf 20 Bände angewachsene Gesamtedition der wohl besten Westernserie der Comic-Geschichte veröffentlicht. Der erste Band enthielt die Jugendabenteuer von Mike S. Donavan alias Blueberry. Egmonts neue noch etwas großformatigere Collector’s Edition präsentiert jedoch als erstes jene Comics, mit denen alles begann.
Ab 1963 erschien im Magazin Pilote als wöchentliche Fortsetzungsserie eine Geschichte, die zwei Jahre später im Album Fort Navajo komplett veröffentlicht wurde. Dies war jedoch nicht – wie seinerzeit üblich – eine in sich abgeschlossene Story, sondern der spannende Auftakt eines fünfbändigen Epos, dessen ersten drei Teile dieser Band der Collector’s Edition enthält.
Kolorierung in der Collector’s Edition
Der Autor Jean-Michel Charlier (Die Abenteuer von Tanguy und Laverdure, Der rote Kosar) lässt seine Geschichte 1866 in Arizona beginnen. Der junge, pflichtbewusste Leutnant Craig ist unterwegs nach Fort Navajo, einem mitten im Indianergebiet gelegenen Außenposten der Armee. Bei einer Rast in einem Saloon hilft Craig einem Glücksspieler aus einer selbstverschuldeten Notlage. Zu seiner Überraschung stellt Craig fest, dass es sich bei dem verantwortungslos agierenden Burschen um Leutnant Blueberry handelt und dieser ebenfalls seinen Dienst in Fort Navajo antreten will…
Kolorierung 1968 in MV Comix
Beim weiteren Verlauf der Geschichte orientierte sich Charlier an tatsächlichen Ereignissen, aber auch an Film-Klassikern wie John Fords Kavallerie-Trilogie. Doch stärker noch als die Western aus Hollywood stellte sich Charlier auf die Seite der um ihr Land betrogenen Indianer.
Kolorierung 1972 in ZACK
Eine Inspirationsquelle war sicher auch der Film Der gebrochene Pfeil von 1950 mit James Steward. Hierin ist Jeff Chandler als Cochise zu sehen und hat große Ähnlichkeit mit Jean Girauds gezeichneter Version des Apachen-Häuptlings.
Kolorierung 2006 in Blueberry Chroniken 2
Ebenso spannend wie die Geschichte darüber, wie Blueberry mit allen Mitteln versucht einen Krieg mit den Indianern zu verhindern, ist die künstlerische Entwicklung von Giraud. Dieser zeichnete anfangs noch im etwas sterilen Stil seines Lehrmeistes Joseph Gillain alias Jijé (Jerry Spring), von dem auch das Cover zu Fort Navajo stammt.
Der Zeichenstil von Jean Giraud wurde in den nächsten Jahren immer lockerer. Im weiteren Verlauf der eigentlich “realistischen“ Geschichte schimmert schon etwas von jener klar konstruierten Welt durch, die zum Markenzeichen von Girauds Alter Ego Moebius (John Difool: Der Incal) werden sollten.
Kolorierung in der Collector’s Edition
Bei der Kolorierung der Collector’s Edition wurde sich an der Farbgebung der Erstveröffentlichung in Pilote orientiert. Das geht sogar so weit, dass eine seinerzeit aus Kostengründen nur mit der Schmuckfarbe rot kolorierte Doppelseite in dieser Form auch in die Collector’s Edition übernommen wurde, obwohl alternative farbige Versionen existieren.
Kolorierung 2006 in Blueberry Chroniken 2
Ein interessanter Anhang mit Texten von Volker Hamann (Reddition) zeigt, in wieviel unterschiedlichen Farbversionen Blueberry im Laufe der Jahre auf die Leser losgelassen wurde. Für die Collector’s Edition wurde ungestrichenes Papier verwendet, auf dem – meiner Meinung nach – die Farben nicht so prächtig wirken, wie im Hochglanz-Flyer, mit dem Egmont diese Neuveröffentlichung bewirbt.
Bei Blueberrys Premiere in Pilote 210 zeichnete Jijé das Cover
Ansonsten gibt es wenig zu meckern. Im Gegensatz zu den Blueberry Chroniken, deren Bonusmaterial meist aus Texten über den Wilden Westen bestand, gibt es diesmal interessante Einblicke in die Entstehungs-Geschichte des Klassikers. Wir erfahren nicht nur, dass Blueberrys Aussehen zunächst an Jean-Paul Belmondo orientiert war, sondern auch noch, dass der französische Filmstar hierfür angeblich um Erlaubnis gefragt wurde (wer noch etwas herumgoogelt “erfährt“, dass Belmondo sogar für den Comic Modell gestanden hat).
Girauds schwarzweiße Version der ersten Comic-Seite
In dieser Ausgabe kommt neben einer schwarzweißen Version der ersten Comic-Seite, die zeigt, was für ein ausgereifter Zeichner Giraud bereits 1963 war, auch der zugehörige Text von Charlier zum Abdruck, der aus mehr als vier Schreibmaschinenseiten besteht!
Es bleibt zu hoffen, dass sich diese schöne Edition nicht wie angekündigt darauf beschränkt in neun Bänden (mit durchgehenden Rückenmotiv) alle von Giraud gezeichneten Blueberry-Alben zu präsentieren, sondern noch um Sonderbände mit den Kurzgeschichten und den weiteren Comics der Serie ergänzt wird.
Christophe Blain & Joann Sfar
Mittlerweile kam übrigens wieder etwas Bewegung in die Traditionsserie. Von Joann Sfar (Die Katze des Rabbiners, Gainsbourg) und Christophe Blain (Isaak der Pirat), die auch für eine Fortsetzung von Hugo Pratts Corto Malteseim Gespräch waren, liegt jetzt die Blueberry-Hommage Das Trauma der Apachen vor.